: Das Gegrizzel des Lebens
■ Über Kosmonauten-Allsucht und -Alltag: Der Regisseur Andrej Ujicai stellte in Bremen seinen Film „Out Of The Present“ vor
Zehn Monate im All kreisen muß eine Erfahrung unendlicher Traurigkeit sein, ein schwereloses Verlassensein. Nicht nur von dieser – allzu erdenschweren – Vorstellung mußte sich Andrej Ujica trennen, nachdem er in Moskau mit leibhaftigen Kosmonauten gesprochen hatte. Im Mai 1991 waren sie zur russischen Raumstation „Mir“ aufgebrochen. Der eine von ihnen, Sergej Krikaljow, blieb länger im All als vorgesehen. Derweil war die Sowjetunion zerfallen. Krikaljow kam als russischer Staatsbürger zurück auf die Erde. Nach den Strapazen im All und der Tortur der Landung beantwortet Krikaljow die Frage, ob er wieder fliegen würde, ohne Zögern: gern.
Das Bremer Institut Film/Fernsehen (BIFF) finanzierte Ujicas Recherchen in Moskauer Archiven. Dort hieß es auch Abschied nehmen von der Legende, die Kosmonauten wären in der Umbruchzeit, als Gorbatschow die Macht an Jelzin weitergab, in ihrer Raumstation schlicht vergessen worden. Ujica hat gelernt: Es gibt eine „Allsucht“, deren „Glücksgefühl nicht einmal mit Sex zu vergleichen ist“. Und das auch die Trainings-Strapazen locker zu überwiegen scheint: Zwei bis vier Jahre müssen die Kosmonauten trainieren, um Start und Landung überleben zu können. „Beim Eindringen in die Erdatmosphäre versiebenfacht sich das Körpergewicht. Wenn man nicht trainiert ist, bekommt man augenblicklich einen Herzschlag“, sagt er.
Andrej Ujica, 45, die Mutter deutschstämmig, der Vater Rumäne, hat der Stoff – wie so viele Filmstoffe einer Zeitungsnotiz entnommen – fasziniert. Er kommt aus Temesvar, dem „Leipzig Rumäniens“, hat dort und in Bukarest Romanistik und Germanistik studiert; ist 1981 nach Deutschland gekommen, war sieben Jahre lang Dozent für Literatur- und Medientheorie an den Universitäten Mannheim und Heidelberg. Eigentlich hat sich Ujica immer als Schriftsteller verstanden und nie etwas unternommen, um zu lernen, wie man Filme macht. „Out of the Present“ ist sein dritter. Vorausgegangen sind zwei Dokumentationen in Zusammenarbeit mit dem Berliner Freund Harun Farocki. Die „Mediatisierung der Geschichte“ ist es, was Ujica interessiert. So auch in „Videogramme einer Revolution“, einer Auseinandersetzung mit dem Aufstand in seiner Heimat, wo „der Umsturz durch die Besetzung eines Fernsehstudios eingeleitet und durchgeführt“ wurde.
In „Out of the Present“ macht nun die Raumfahrttechnologie die Geschichte gewissermaßen unsichtbar. Denn aus der Umlaufbahn kann die „Mir“-Besatzung nicht in sie eingreifen – sie nimmt die Umbrüche noch nicht einmal wahr.
280 Stunden Material hat Ujica in Moskauer Archiven gesichtet, alles Videoaufzeichungen, die während und vor den vier Missionen zur Raumstation entstanden sind. Daß er das Material – die Raumfahrer bei der Nahrungsaufnahme, beim Haareschneiden, bei medizinischen Experimenten – überhaupt zu Gesicht bekam, verdankt er den unruhigen Zeiten in Rußland: „Ich habe nicht locker gelassen, bis ich nicht Einblick in das Gesamtarchiv dieser Mission hatte. Mein Glück war, daß die bürokratischen Strukturen, so gefestigt sie auch sein mögen, unsicher waren 1993, als ich meine Recherche gemacht habe. Weder vorher noch heute wäre das möglich gewesen.“
Die Glückseligkeit der Schwerelosigkeit wird im Film durch zwei beeindruckende Aufnahmen auf 35mm-Filmmaterial unterstrichen, die aus dem Videomaterial hervorstechen. „Das Gegrizzel des Lebens ist Video, Kino ist 35 mm und gute Farbe“, sagt Ujica. Und wenn, zu Beginn und am Schluß, die Raumstation majestätisch durchs All schwebt, ist dem Regisseur auch das noch zu wenig: vom Soundtrack wummern Techno-Klänge. Der Hintergrund ist subtil: „Russische Raumfahrt ist eine Mischung aus Alteisen und überstarken Chips in großen Computern. Techno ist in der Musik genau dasselbe: ein Zusammenkommen zwischen analogen Tönen und Billigcomputern.“ Alexander Musik
„Out Of The Present“, täglich um 19 Uhr im Cinema
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