Sanssouci: Vorschlag
■ 22 Ölfässer, 44 Knüppel: Les Tambours du Bronx in Potsdam
Harte Arbeit vor und hinter der Bühne Foto: fnac
22 Trommler, 22mal Metall, kinderarmdicke Holzstöcke, eine Pfeife. Weniger eine Band als ein urbaner Stamm auf dem Kriegspfad. Kaum zu glauben, aber Les Tambours du Bronx sind mit einer Musik, die archaischer nicht mehr denkbar ist, zu den Lieblingen des Feuilletons geworden. „Mächtig, hypnotisch“, befand der Stern, über „formale Strenge“ freute sich die Süddeutsche Zeitung. Und die FAZ erkannte einen „raumgreifenden Klangteppich“.
22 Trommler gehen auf Reisen, und jeden Abend werden 22 buntbemalte Ölfässer dem Schrott überantwortet. Zu Beginn einer Tournee ist ihr Lastwagen vollgepackt mit den Klangerzeugern, am Ende ist er leer. Dafür hat sich das Lazarett gefüllt. Während der Konzerte sind Quetschungen an der Tagesordnung, und gebrochene Arme sind auch schon vorgekommen. Der Kriegspfad fordert seine Opfer.
22 Trommler auf der Bühne: Die Pfeife kommandiert herrisch, dann setzt der Höllenchorus ein. Die Rhythmen sind einfach und laden garantiert nicht zum Tanzen ein. Sie sind der Rhythmus, zu dem ebenso Feuersteine wie Automobile gefertigt werden. „Wir kopieren die Geräusche von Fabrikmaschinen“, erzählen sie, „unsere Musik ist eine Hymne an unsere Väter und alle Arbeiter.“ Nur selten, in primitiven mittelalterlich anmutenden Chorgesängen, blitzt ein menschliches Element auf.
22 Trommler – wenn man sie sieht, kann man den Spaß verstehen, den sie haben, sich auf die primitivste Art und Weise auszudrücken. Den Reiz, zwei Holzknüppel in die Hand zu nehmen, einfach kaputtzuschlagen, egal was, und wenn es die Musik ist, die die Franzosen auf ihre letzte Essenz reduzieren. Der Blues war der Rhythmus der Arbeiter auf den Baumwollfeldern, dies hier ist der Blues der Industriegesellschaft.
22 Trommler, die sich aufgemacht haben, der Welt den Abgrund zu öffnen, in dem sie sich längst befindet. Sie kommen aus den inzwischen unter Denkmalschutz stehenden Fabrikruinen der postindustriellen Gesellschaft. Und glaube nicht, du würdest bei ihrer Musik unterhalten. Dies hier ist harte Arbeit, auf und vor der Bühne. Sie kommen, um dir Angst zu machen. Thomas Winkler
Heute, 21 Uhr, Lindenpark, Stahnsdorfer Straße 76, Potsdam
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