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Tiefenpsychologie der Mauer

■ Haus am Checkpoint Charlie stellt Modell für Mauerfreiluftmuseum vor. Früher wurde die Mauer verdrängt, nun soll sie wie ein Bakterium umschlossen werden

Die Mauer am ehemaligen Grenzübergang Checkpoint Charlie wird wieder errichtet – im Inneren des wahrscheinlich 1999 fertiggestellten „Quartier 200“ des American Business Center. Das Haus am Checkpoint Charlie führte gestern anhand eines Pappmodells vor, wie das im Verein mit dem US-Investor CEDS American Business Center KG und der Senatsverwaltung für Kultur geplante Mauerfreiluftmuseum aussehen könnte. Der größte Teil der original Grenzanlagen würde nach diesem Entwurf des Frankfurter Architekten Jürgen Engel im runden Innenhof des Quartiers verschwinden. Von der Straße aus sichtbar wären nur der Schlagbaum nebst Zubehör und einige Mauersegmente.

Offiziell ist dieser Entwurf freilich noch nicht. Rainer Klemke von der Senatsverwaltung für Kultur wies auf der überfüllten Pressekonferenz im Mauermuseum darauf hin, daß ein künstlerischer Wettbewerb zur zukünftigen Gestaltung des früheren Grenzübergangs noch nicht entschieden sei. „Völlig fehl am Platze“ sei der in die Rotunde verpflanzte Wachturm, weil der am Checkpoint Charlie nie gestanden habe und in einem Gebäudehof auch nicht wirken könne.

Auch der US-Investor in Gestalt seines Sprechers Frank Schmeichel reagierte leicht pikiert auf diese „finale Präsentation“. Fest stehe bisher nur, so der frühere Sex-Talker, daß rund 600 von insgesamt 20.000 Quadratmetern für die Mauerausstellung freigehalten werden sollen. Schon beim Erwerb des früheren Landesgrundstücks hatte sich der US-Investor verpflichtet, dafür einen Teil des historischen Bodens zur Verfügung zur stellen.

Museumsleiter Rainer Hildebrandt führte beredte Klage darüber, daß die Mauer, „dieses Symbol der Weltenteilung“, vergessen und verdrängt worden sei. Der Senat tue wenig bis nichts dafür, ihre Überreste in der Niederkirchner Straße, der Bernauer Straße, an der East Side Gallery und am Potsdamer Platz zu sichern, wetterte er. Aber die Mauer müsse erhalten bleiben, denn vielleicht werde sie dereinst eine Bedeutung erlangen „wie die Mauer von Troja oder die chinesische Mauer“. Schon der römische Geschichtsschreiber Livius habe gesagt: „Es gibt Zeiten, Menschen und Ereignisse, über die allein die Geschichte ein endgültiges Urteil fällen kann.“

Als moralische Verstärkung hatte der Museumsleiter Bärbel Bohley mitgebracht. „Wenn man die Mauer als Symbol des verlorenen Weltkrieges ausradiert, kann man viele Erfahrungen ausradieren“, erklärte sich die Bürgerrechtlerin die augenfällige Ignoranz gegenüber diesem Bauwerk. „Die Leute wollen ihre Geschichte einfach vergessen“, befand Bohley.

Mag sein. Aber wenn man die Worte Rainer Hildebrandts ernst nimmt, daß es eine „Tiefenpsychologie der Mauer“ gibt, dann ist das von einer Gebäudemauer umschlossene Freiluftmuseum als Symbol mehr als interessant. Wer im Biologieunterricht einigermaßen aufgepaßt hat, den erinnert das Modell an die Arbeitsweise der weißen Blutkörperchen, der Phagozyten. Wenn sich ein gefährliches Bakterium nähert, dann wird es vom einem weißen Blutkörperchen umrundet, eingeschlossen, geschluckt und schließlich verdaut. Auch eine Form der Entsorgung. Ute Scheub

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