piwik no script img

Schulbuch aus dem Genlabor

■ Die Biotechnik-Firma "Genentech" läßt im Internet sanfte Bienchen summen - in der wirklichen Welt ermittelt der Staatsanwalt gegen ihre Vermarktungspraktiken

Nutzen Sie das Internet zur Imagepflege“, empfahl das Fachblatt Bio/Technology seiner Leserschaft. „Sie müssen nicht unbedingt direkt über Ihr Unternehmen oder Ihre Produkte informieren. Sie können ihre Web-Seiten ebenso sinnvoll als Quelle für Informationen nutzen, die den öffentlichen Eindruck ihres Industriezweiges stärken.“

Tatsächlich haben die meisten Unternehmen der Branche noch nicht recht erfaßt, was das World Wide Web leistet. Sie gehen vor allem mit schwer ladbaren Logos und dürfiger Produktwerbung ins Netz. Aber manche haben dazugelernt. Genentech zum Beispiel, einer der Gentechnik-Pioniere in den USA, weiß, wie man sich ins Gespräch bringt, ohne den eigenen Namen ständig im Schilde zu führen. Die Firma, die für die aggressive Vermarktung ihrer Wachstumshormone für Kinder berüchtigt ist, tritt nur als bescheidener Sponsor eines Bildungsprogramms online auf. Das 10 Millionen US-Dollar teure Experiment mit Namen „Access Excellence“ richtet sich an LehrerInnen der Naturwissenschaften nordamerikanischer Highschools (http:// www.gene.com/ae). „Access Excellence schafft ein Kommunikationsnetz für Sie, das Sie mit anderen Lehrern im Land verbindet und wichtige Ressourcen in Ihre Reichweite rückt“, begrüßt Anthony A. Kossiakoff, Leiter des Proteindesigns bei Genentech, die Pauker an der elektronischen Pforte. Nach Firmenzählung greifen via America Online täglich bis zu 20.000 Nutzer zu, die Mehrzahl LehrerInnen. Das World Wide Web selbst lockt weitere 150.000 bis 200.000 an.

Gespeist wird das Forum, das Genentech unter das naive Bild eines summenden „virtuellen Bienenkorbs“ stellt, von firmeneigenen Wissenschaftlern und PR- Leuten. Was das Unternehmen allerdings nicht daran hindert, mit dem Anspruch aufzutreten, ein „nationales Bildungsprogramm“ anzubieten. Inzwischen verlieh das Weiße Haus dem Werbegeschenk auch schon die höheren Weihen: Im vergangenen Jahr begrüßte US-Vize Al Gore Access Excellence als vitale Informationsquelle für Lehrer auf dem „Superhighway“. Die nun können Anekdoten, Neuigkeiten oder Interviews aus der Gentechnikwelt abrufen, aber auch die neuesten Lehrpläne für Schulen. Sie können Unterrichtseinheiten zusammenstellen, an Online-Seminaren teilnehmen oder WissenschaftlerInnen Briefe schreiben, in der „Teacher's Lounge“ über den Unterricht diskutieren oder das „Resource Center“ nach Bildern durchstöbern. Wer auf den mit gelben Waben und umherschwirrenden Bienchen bestückten Web- Seiten Schlagwörter anklickt, wird mit der Nasa verbunden oder dem Projekt zur Sequenzierung des menschlichen Genoms, kann einen virtuellen Frosch sezieren, über die Forschung an einem Aids- Impfstoff nachlesen und an einer entsprechenden Diskussionsgruppe teilnehmen.

Und wer seinen SchülerInnen eine Berufslaufbahn in der expansiven BioTech-Branche schmackhaft machen möchte, findet auch dazu reichlich Material. Im „Karrierezentrum“ gibt es neben Adressen von Studien- und Stipendienprogrammen auch eine Liste von rund 50 Jobbeschreibungen – präsentiert von BIO, der Lobbyorganisation der US-BioTech Industrie. Neben besseren Medikamenten, gesünderer Nahrung und neuen Energiequellen verspricht BIO den „jungen Leuten“ hier Tausende neuer Arbeitsplätze – vom Glaswäscher im Labor bis zum Patentagenten.

Nur: Wer den Bienenkorb nach reflektierten Beiträgen durchforstet, sucht vergebens. Access Excellence ist technikeuphorisch, seine Botschaft auf das schlichte Lob der „Biotech Revolution“ reduziert. Ausgemacht falsche Informationen werden nicht verbreitet, doch das Forum konterkariert die im richtigen Leben komplexe Debatte zu dem Thema durch Vereinfachungen. Da suggeriert eine Chronologie, moderne gentechnische Basteleien seien nichts weiter als die Fortsetzung tradierter biotechnischer Methoden, deren Nutzung um 6000 vor unserer Zeitrechnung im Nahen Osten begann, wo Sumerer und Babylonier ihr Bier brauten. Und über den Einsatz von Proteindesign und manipulierten Mikroben beim Abbau von Öl oder Plastik heißt es: „Mutter Natur mit ihren eigenen Mitteln heilen“.

Rückschläge und Grenzen werden augeklammert, der elektronische Blick ist vernegt auf die Debatte der wissenschaftlichen Machtelite. Damit der Bienenkorb nicht zum Wespennest wird, werden insbesondere die kritischen Stimmen unterschlagen, die sich zum Widerstand formieren. Jene also, die bei den Herausgebern der Wissenschaftspresse seit Jahren reichlich Schaum vorm Mund erzeugten und deren Opposition ein Beobachter unlängst als „rampant green imperialism“ bezeichnete. Dazu gehören in den USA die Foundation on Economic Trends des Einzelkämpfers Jeremy Rifkin, Greenpeace, die zu einem Moratorium bei Freilandexperimenten aufruft, BoykotteurInnen von „Frankenfood“ in England und von manipuliertem Saatgut in Indien und auf den Philippinen, PlatzbesetzerInnen in Deutschland und den Niederlanden und all jene AktivistInnen, die in vielen Ländern „Kein Patent auf Leben!“ fordern. Daß diese kaum bemäntelte Imagekampagne der GenTech-Branche bei LehrerInnen in den USA so gut ankommt, ist wohl hauptsächlich auf zwei Faktoren zurückzuführen: Die sich rasch verändernden Biowissenschaften schaffen einen hohen Nachholbedarf an Wissen und Lehrmitteln, der wegen der Kürzungen des US-Haushalts im Bildungsbereich und des Geldmangels vieler öffentlicher Schulen kaum gedeckt werden kann. Schulbücher sind häufig veraltet, für Projekte ist kein Geld da, und überdies müssen die LehrerInnen selbst für ihre Weiterbildung sorgen. Diese Defizite im Bildungswesen, gepaart mit spezifisch nordamerikanischer Technikbegeisterung, sind die Türöffner für das Programm, das mehr die Akzeptanz rekombinanter Technologien als kritisches Denken fördert.

Bemerkenswert ist auch, daß „Access Excellence“ unter Schirmherrschaft der National Science Teachers Association (NSTA) in den USA steht. Seit 1994 rekrutiert diese US-weite Vereinigung – nach eigenen Angaben mit etwa 50.000 Mitgliedern die weltweit größte wissenschaftliche Bildungsorganisation – für Genentech in einem jährlichen Wettbewerb rund 100 Lehrer aus öffentlichen und privaten Schulen aller Bundesstaaten. Die verbreiten als „Access Excellence Fellows“, ausgestattet mit kostenlosem Computer, Modem, Drucker und einem Internetzugang über American Online (AOL), die frohe Botschaft ihrer Gönner. Die Fellows beraten das Forum, machen ihre KollegInnen mit dessen Programm vertraut und können ihre selbstentwickelten Unterrichtseinheiten in das Archiv einspeisen. Wie schon in den vergangenen zwei Jahren ist auch in diesem Juni wieder ein einwöchiges „Summit“ in San Francisco geplant, wo der nächste Jahrgang „hochmotivierter Lehrer“ geschult wird. Mittlerweile ist der Ruf des Unternehmens so gut, daß gemeinsam mit der Universität von Kalifornien ein Online-Kurs für Lehrer begonnen wurde.

Bei soviel Engagement für die Bildung der Jugend im Cyberspace bleibt zu hoffen, daß die LehrerInnen dennoch im Unterricht thematisieren, was Genentech im richtigen Leben treibt. Im vergangenen Jahr nämlich interessierte sich die Staatsanwaltschaft für Genentechs Marketingpraxis. Schlagzeilen gab es vor allem, weil die Firma Schulkinder mit Hilfe einer Stiftung auf ihr Größenwachstum screenen wollte. Immerhin sind zwei der fünf Genentech-Produkte, mit denen 1994 ein Umsatz von 800 Millionen US- Dollar gemacht wurde, rekombinante Wachstumshormone. Und ebenfalls 1994 wurde bekannt, daß ein Verkaufsleiter Ärzten, die Wachstumshormone verschrieben, Gelder zuschob. Auch solche Informationen übrigens sind im WWW abrufbar, unter http://baynet.com/ smtimes.html von der San Mateo Times. Ute Sprenger

(usp@berlin.snafu.de)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen