: Ein Junior-Riecher der Mode
■ Zehn Jahre Designermode von „Molotow“. Arno Karge über Mode in Berlin, gut präsentierte Modeschauen und die Beständigkeit des Geschäfts
Auch vier Wochen nach dem 10jährigen Jubiläum der Kreuzberger Designerboutique „Molotow“ stehen die Sektflaschen noch auf dem Tisch. Und einen Anlaß zum Feiern hatte die Crew um den Berliner Boutiquenbesitzer Arno Karge wohl wirklich, denn das Modebusineß ist schließlich nicht nur ein schnellebiges Geschäft, sondern angesichts der rückläufigen Verkaufszahlen in der Branche auch ein unsicheres. „Meine Kundschaft ist eben die intelligenteste der Stadt“, freut sich Mode-Experte Karge, „und außerdem diejenige mit dem besten Geschmack!“
In einer Vitrine in der Ecke ist eine Urkunde ausgestellt, der „Junior-Riecher“, den Karge im vergangenen Jahr von Berliner Modejournalisten verliehen bekam. Etwa 10 bis 15 mehr oder weniger junge Designer werden in der Boutique vertrieben. Das Sortiment reicht dabei von geradlinig eleganten Kollektionen, wie die von Ute Hentschels Label BlackWhite, bis zu den Herrenmoden von Frank Sohst, die man getrost als Clubwear bezeichnen kann. Doch alle Kollektionen haben eines gemein: Sie sind qualitativ einwandfrei verarbeitet sowie gut reproduzierbar und in der Regel aus ökologischen Materialien gearbeitet. „Hipness“ ist zweitrangig. Heute steht Karge hinter der Devise, daß Mode nicht modisch, sondern vor allem langlebig sein sollte. Einiges von dem, was vor zehn Jahren über seine Ladentheke wanderte, würde er heute nicht mehr vertreiben. Dennoch behauptet der diplomierte Politologe vom OSI, er verstünde eigentlich gar nichts von Mode. „Ich würde einem Designer niemals in seinen Entwurf hineinreden. Ich kann den Kunden lediglich sagen, ob ihnen ein Stück steht oder nicht.“ Seine Talente liegen eher in den kommunikativen Bereichen, wie dem Verkauf und dem Aufspüren von Sponsoren. Sein Motto: Bis zum Jahr 2000 soll Berlin Modehauptstadt werden. Eine Idee, die gar nicht einmal so abwegig ist, wenn man bedenkt, daß es hier sechs Modeschulen gibt und mindestens 150 hochkarätige Designer mit Abschluß. Doch Karges herausragende Fähigkeiten liegen wohl in der Organisation der Modeschauen, und darauf ist er besonders stolz. „95 Prozent aller Berliner Modeschauen sind eine Katastrophe, und das fällt am Ende auf die Designer zurück.“ Von diesen Hals über Kopf organisierten Fashion-Parties hält er rein gar nichts. Viele Veranstalter wollen genauso locker rüberkommen wie beispielsweise die AVE. Doch bedenkt kein Mensch, daß sie ebenfalls über Monate geplant wird.
Um mir zu demonstrieren, wie eine gute Modeschauen auszusehen hat, setzt Arno Karge mich erst einmal vor seinen Videorecorder, im Hinterzimmer des circa 80 Quadratmeter großen Ladens. Es läuft die erste Molotow-Präsentation von 93. „Damals suchten wir eigentlich nach Räumlichkeiten für etwa 400 Zuschauer und bekamen nur den Tränenpalast, in den gleich 2.000 Leute passen. Sie glauben nicht, wie erleichtert wir waren, als wir sahen, daß die Bude wirklich voll wurde!“
Mangelnde Organisation und zu geringes Kapital sind seiner Meinung nach die Hauptursachen für das Scheitern vieler Präsentationen. Im Hause Molotow herrscht daher strikte Arbeitsteilung bei der Planung der Präsentationen. Karge kümmert sich um die Finanzierung, den Verlauf des Catwalk und die Beleuchtung. Die künstlerische Leitung und die Auswahl der Designer übernehmen Ute Hentschel und Kratzert/Pahnke. „Es gibt nichts Schlimmeres, als seine Zuschauer mit der Präsentation zu langweilen“, erklärt Ute Hentschel das Konzept. Deshalb sind die Molotow-Schauen höchstens eine Stunde lang. Gezeigt werden Kollektionen von jugendlich schriller Machart sowie elegante Stücke aus edlen Materialen. „Damit für jeden Geschmack eben etwas dabei ist.“
Drei Präsentationen wurden bisher veranstaltet und eigentlich war für Ende April eine weitere vorgesehen. Doch die wird aus finanziellen Gründen auf den Herbst verschoben. „Wir machen lieber einmal im Jahr eine Top- show, als zwei, die dann in die Hose gehen“ – so lautet das Credo von Karge und Co. Kirsten Niemann
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