: Mehr Frust als Fest
■ Interationale 1. Mai-Demo auf dem Rathausmarkt: IG-Metall-Küste-Chef Frank Teichmüller ruft zum Streik auf / DAG feiert allein Von Ulrike Winkelmann und Heike Haarhoff
„Biji 1 Golan“ – es lebe der 1. Mai! Den Nachweis, daß die Zahl der sozialistischen Splittergruppen in Hamburg immer noch in die Dutzende geht, erbrachte gestern die Demonstration des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum ArbeiterInnenkampftag. Die Angaben zur Zahl der DemonstrantInnen schwanken zwischen 3500 (Polizei) und 10.000 (Veranstalter); deren Mehrheit sowie die vokale Untermalung wurden von den kurdischen und türkischen Verbänden gestellt.
Um- und überflattert von roten und rotgelben Fahnen, sammelte sich der Zug vorm Polizeihochhaus am Berliner Tor, zog durch Seitenstraßen nach St. Georg und marschierte Richtung Rathaus. Dort sickerten die revolutionären Massen in das zufällig zur selben Zeit stattfindende (Freßbuden-) „Fest der Europäer“ ein und verteilten sich gleichmäßig an den Würstchen-Ständen.
Während die kurdischen Gruppen ihre eigenen Kundgebungen abhielten, forderte auf der Rednertribüne Frank Teichmüller, Chef der IG Metall Küste, die ArbeiterInnen zum Streik auf. Heftig kritisierte er den Sozialabbau durch die Bundesregierung und bezeichnete ihren Pakt mit den Arbeitgebern als „erfolglos, sinnlos und skrupellos“. Die Kürzung der Sozial- und Krankenversicherungsleistungen kommentierte er historisch: „Wir fallen in die Zeiten vor Bismarck zurück.“ „Und die Gewerkschaften lassen sich das gefallen“, empörte sich darauf ein demonstrierender Betriebsrat. Anstatt „drei Tage Generalstreik auszurufen, haben die sich bei Kohl auf den Schoß gesetzt“, kritisierte er „diese ganzen gescheiterten Bündnis-Verhandlungen“.
Der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke appellierte im anschließenden ökumenischen Gottesdienst an „die Bereitschaft zum Verzicht“ und meinte, daß der deutsche Sozialstaat nicht aufgegeben werden dürfe. Diesen Eindruck allerdings hatten rund 150 Arbeitslose, die sich schon früh morgens zum Demo-Frühstück am Besenbinderhof getroffen hatten: „Es wird von Jahr zu Jahr frustrierender. Aber wer sich gar nicht öffentlich zeigt, ändert wohl noch weniger“, glaubt eine Frau.
Die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) und der DGB vermochten ihr krampfiges Konkurrenzgehabe noch nicht einmal an diesem 1. Mai zugunsten gemeinsamer gewerkschaftlicher Ziele zu überwinden: Zeitgleich zu den DGB-Kundgebungen fürs Fußvolk am Rathausmarkt lud die DAG zur Gegenveranstaltung an den Karl-Muck-Platz mit „Festrednerin“ Krista Sager. Vor 250 Angestellten in perfekter Sitzordnung mahnte die Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, Umweltschutz-Interessen nicht länger gegen Arbeitsplätze auszuspielen. Der ökologische Strukturwandel schaffe – bei konsequenter Klimaschutzpolitik – neue, zukunftssichernde Arbeitsplätze. Eine ökologische Steuerreform sei nötig, um den Plänen zur Senkung der Lohnnebenkosten „eine sozial gerechte Gegenfinanzierung“ entgegenzusetzen.
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