„Wir wollen nicht in die Häuser der anderen, wir wollen nur zurück in unsere eigenen“

■ Ifor-Truppen hindern bosnische Flüchtlinge, ihre von Serben besetzte Heimat zu besuchen

Sanski Most (taz) – Das Tal muß damals ähnlich wie heute ausgesehen haben: saftige Wiesen, übersät von dem Gelb des Löwenzahns. Häuser drängen sich entlang der Straße, ein Kirchturm lugt über den Bäumen hervor.

Doch hier leben keine Menschen mehr. Am 30. April 1992 haben serbische Truppen die westbosnische Stadt Prijedor eingenommen und waren dann in Richtung Bihać weitergezogen. Was dann in dem Dörfchen Sasina passierte, ist weitgehend unbekannt. Heute sickert aus einem Erdhügel stinkendes Wasser. Ein Menschenfuß ragt aus dem Schlamm, ein Schädel, notdürftig mit einer Plane verdeckt, ist zu sehen. – Hier ist ein Massengrab gefunden worden.

Der Name Prijedor steht für eines der schlimmsten Kapitel in der Geschichte des bosnischen Krieges. Hier wurden die berüchtigten Konzentrationslager Omarska, Trnopolje, Manjaca, Keroterm und Ljubija eingerichtet. Zehntausende Menschen flohen in Panik in Richtung Bihać oder nach Kroatien. Die meisten wurden gefangen, an die dreißigtausend Menschen seien hier verschwunden, behaupten Menschenrechtsorganisationen. Wer bleiben konnte, war später zahlreichen Schikanen ausgesetzt. Wer deshalb ausreisen wollte, mußte seinen gesamten Besitz den serbischen Behörden übertragen. Monatlich brachten in den darauffolgenden Jahren Busse des Roten Kreuzes Vertriebene aus Banja Luka und Prijedor in die zentralbosnische Stadt Travnik, wo viele von ihnen in Lagern zusammengepfercht leben mußten.

Viele von ihnen sind nach der Rückeroberung von Sanski Most am 10. Oktober 1995 hierhergekommen – 20 Kilometer von Prijedor entfernt. Dreißigtausend Menschen bevölkern schon wieder Sanski Most. Bei der Offensive der bosnischen Armee im Herbst letzten Jahres sind weite Teile Westbosniens zurückerobert worden. Die Vereinbarung über den Waffenstillstand jedoch stoppte den Vormarsch auf Prijedor. Die US-Regierung soll den Befehl dazu gegeben haben. Das Abkommen von Dayton war schon vordiskutiert, und Präsident Bill Clinton fürchtete Fernsehbilder von fliehenden serbischen Zivilisten.

Einige hundert Serben leben auch heute noch in Sanski Most. Doch die meisten flohen nach Prijedor, wie all jene, die westlich von hier in den ehemals serbisch kontrollierten Zonen in Westbosnien lebten. Auch sie haben mit dem Dayton-Abkommen wieder Hoffnung geschöpft. Sie teilen mit den muslimischen und kroatischen Vertriebenen aus Prijedor und Banja Luka das gleiche Interesse: heimkehren zu können in ihr Haus jenseits der Demarkationslinie, die heute genau durch das Dorf Sasina führt. Doch nicht einmal Besuche in der Zone der anderen werden leichtgemacht: Serbische Besuchergruppen haben vor einer Woche die kroatisch kontrollierten ehemaligen serbischen Gebiete besuchen wollen, wo Polizei sie an der Weiterfahrt hinderte. Als eine andere Gruppe in das muslimisch kontrollierte Bosanski Petrovac fahren wollte, wurde ihnen der Weg durch aufgebrachte Muslime versperrt.

80 Prozent aller Flüchtlinge in den europäischen Aufnahmeländern kommen aus den Gebieten, die heute in der „Serbischen Republik“ liegen. Die Schlange der Autos ist lang. Es sind Kennzeichen aus Slowenien, Österreich, der Schweiz und Deutschland darunter. Zwei Busse aus Deutschland sind da, die „Gesellschaft für bedrohte Völker“ hat eine Besuchergruppe von vertriebenen Muslimen aus Deutschland hierhergebracht. Rund dreihundert Personen wollen den Versuch unternehmen, besuchsweise in ihre Heimatstadt Prijedor zu fahren.

Der Versuch scheitert. Ifor- Truppen haben eine Straßensperre errichtet. Major David Last fürchtet Zusammenstöße. „Dies ist eine Demonstration, das können wir nicht erlauben.“ Die Ifor-Truppen sind nervös. Nur kleine Gruppen könnten zurückkommen und ihre Heimat besuchen, sagen die Kommandeure. Wie jedoch das im Dayton-Abkommen verbürgte Recht auf Rückkehr in die Heimatorte durchgesetzt werden kann, weiß weder der Kanadier David Last noch der dänische EU-Beobachter Jan Schunck. Sie stehen bei den britischen und kanadischen Panzern und sorgen dafür, daß kein Bosnier weiterfahren kann.

Spontan wird eine Versammlung abgehalten. Sead Cirkin, Bürgermeister der nahe gelegenen Stadt Luska Polanka, betont das Recht auf Rückkehr. „Wir wollen nicht die Häuser der anderen“, sagt er, „wir wollen nur zurück in unsere eigenen.“ – „Wir wollen nach Hause“, skandiert die Menge. Diejenigen Vertriebenen, die jetzt noch im Ausland lebten, würden ab dem 1. Juli gezwungen sein zurückkommen. Bis dahin, so der Redner, müsse das Recht auf Rückkehr durchgesetzt werden. Und das nicht nur für Muslime nach Prijedor, fügt der Vorsitzende der Gesellschaft für bedrohte Völker, Tilman Zülch, hinzu, sondern auch für Serben in die muslimisch oder kroatisch kontrollierten Gebiete. Und er erhält dafür sogar Beifall von den muslimischen Demonstranten.

Schließlich dürfen Journalisten auf die serbisch kontrollierte Seite. Dort skandieren erregte Menschen: „Dies ist unser Land!“ Die Menge traktiert den Wagen der Journalisten mit Fußtritten. Serbische Polizisten versuchen, sie zurückzudrängen. Die Ifor-Soldaten stehen Gewehr bei Fuß, ohne einzugreifen.

Es sei eine organisierte Gegendemonstration, sagen später Ifor- Offiziere. Und Doris Pack, EU- Abgeordnete und Spezialistin für Ex-Jugoslawien, erklärt, die Machthaber in der Serbischen Republik unternähmen alles, um die Rückkehr der Vertriebenen zu unterbinden. Vorsichtig kritisiert sie die Haltung der Ifor. „Wie soll das Rückkehrrecht durchgesetzt werden, wenn die Bewegungsfreiheit im gesamten Gebiet Bosnien- Herzegowinas eingeschränkt wird?“ Erst wenn die internationale Gemeinschaft ernsthaft die Machtstrukturen der Nationalisten gefährdete, könnte ein Schritt vorwärts unternommen werden. „Auch viele Serben erwarteten die Rückkehr zur Normalität. Die Ifor muß endlich die als Kriegsverbrecher Verdächtigten verhaften.“

Doch so weit ist es noch lange nicht. Als eine der Personen, die auf der serbischen Seite die Szenerie beobachten, wird Slobodan Kurusović ausgemacht, der berüchtigte ehemalige Leiter des Konzentrationslagers Trnopolje. Er wird von einem ehemaligen Gefangenen erkannt. Die Ifor-Offiziere ignorieren den Hinweis.

In dem Dörfchen Sasina ist der Abend eingekehrt. Die hier stationierten britischen Soldaten ziehen sich in ihre Unterkünfte zurück. Es ist totenstill geworden. Nicht einmal Tiere leben hier in der Nähe des Massengrabes. Das nach Verwesung stinkende Wasser rinnt weiterhin hinunter zu dem Bach, wo die Minenfelder liegen. Erich Rathfelder