: Traum vom Hören und Sehen
■ Der Komponist Hans Otte, Vater der „Pro Musica Nova“, feiert 70. Geburtstag – das Festival feiert Otte
Er hat 1959 das erste bremische Festival für Neue Musik gegründet und bis 1984 zu internationalem Renommee geführt. Hans Otte hat sich als Komponist, Querdenker und Initiator in der Musikszene profiliert. Heute widmet die „Pro Musica Nova“ dem 70jährigen einen ganzen Festivaltag mit Klanginstallationen und Konzerten. Der taz erzählte er, was ihn bis heute nach neuen Klängen suchen läßt.
taz: Herr Otte, Ihr Festivalziel war es von Anfang an, KomponistInnen und künstlerische Konzepte in Bremen vorzustellen, die sonst in Deutschland noch nicht zu hören waren. Ich denke da besonders an John Cage und den Kreis um ihn, aber auch an die Begegnungen mit anderen Kulturen. Wie sehen Sie diesen Ansatz fast vierzig Jahre später: Was hat sich bestätigt, welche Entwicklung hat Sie vielleicht verblüfft?
Hans Otte: Die Idee, das so zu machen, war die pure Neugier. Und natürlich die Möglichkeiten des Rundfunks, der als einziger in der ganzen Welt gleichzeitig präsent sein kann und gleichzeitig über alles in der Welt informieren kann. Ich wollte einfach wissen, wie die Welt klingt, und ich möchte damit keinerlei Wertung verbinden. Seit Schönberg und Webern, seit Debussy und Strawinsky ist die Situation im 20. Jahrhundert ganz neu. Es gibt so viele Wege, und nichts sollte gegeneinander ausgespielt werden. Es war nur mein Anliegen, von diesem Reichtum einen Eindruck zu geben.
Heute nachmittag wird Ihr „Stundenbuch“ für Klavier uraufgeführt. Im Gegensatz zu den vielen Klanginstallationen, die Sie in aller Welt und auch im Museum Weserburg angefertigt haben, hat der intime Klavierzyklus ja eine ganz traditonelle, ja fast bürgerliche Funktion. Können Sie sich durch das Klavier nach den vielen ästhetischen Ausflügen vielleicht doch am authentischsten ausdrücken?
Ja, natürlich, das ist einfach meine Geschichte. Ich bin von der Ausbildung her ganz klassischer Pianist, Sie wissen ja, daß ich Meisterschüler von Walter Gieseking war. Und ganz einfach: Ich bin nicht von den aufführungspraktischen Mißbildungen des Betriebs abhängig, ich kann meine Musik täglich zu Hause machen. Außerdem bin ich persönlich überzeugt davon, daß die Klangmöglichkeiten des Klaviers noch lange nicht ausgeschöpft sind.
Sie nennen den Zyklus „Stundenbuch“, das weist besonders auf Konnotationen philosophischer Art, wenn man an die mönchische Tradition des Stundengebetes denkt oder auch an Rainer Maria Rilke.
Ich lebe – das heißt ich lese viel – für diese Komposition seit fünf Jahren mit für mich wichtig gewordenen Texten. Zum Beispiel von Samuel Beckett, ohne den könnte ich gar nicht atmen. Und ich habe häufig morgens ein kleines Bild gezeichnet. Das „Stundenbuch“ ist ein Ergebnis dieser ganzheitlichen Beschäftigung mit Klang, Text und Bild. Die Texte werden auch zum Teil gelesen.
Es gibt außerdem eine Klanginstallation in der „Weserburg“?
Ja. Das ist ja wieder mein alter Traum vom „Hören und Sehen“, so hieß eine Ausstellung, die wir hier 1972 gemacht haben. Cage, Schnebel und Kagel waren damals da, Nam June Paik und auch der Fluxuskünstler Wolf Vostell. 1992 habe ich hier unter dem Dach das „Klanghaus“ gebaut, und nun ist „Namenklang“ zu sehen.
Die kompositorischen Prinzipien des „Klanghauses“ sind so, daß die Bewegung, die Körperwärme und die Nähe der Menschen Klänge auslösen. Wie ist „Namenklang“ konzipiert?
Ich habe die betonten Silben von Komponistennamen, zu denen ich eine Beziehung habe, eingefroren und dann diesen Klang in sein Eigenleben überführt. Aus jedem der Lautsprecher klingt ein anderer Name.
Heute abend gibt es noch ein Orgelkonzert. Was hat ein Cageanhänger und Klanginstallateur mit einem derart traditionell besetzten Instrument am Hut?
Meine Vergangenheit ist mir stets präsent. Ich habe mit 14 Jahren in Schlesien Orgel gespielt, den Tuttiklang fand ich unglaublich aufregend. Ich habe dann in Amerika auch Orgel studiert, ich habe Olivier Messiaen kennengelernt. Und eine Persönlichkeit wie Gerd Zacher hat natürlich viele von uns zu Kompositionen für Orgel animiert. Zacher spielt drei vollkommen verschiedene Stücke von 1965, 1992 und „Biographie“ von 1979 und 1996.
Sie haben im Programmheft der „Nova“ über Ihre Auffassung von Kunst geschrieben: „Schließlich wird heute die Kunst mit jedem neuen Werk nach ihrem Wesen befragt – und dies ist noch immer: unermeßliches Vergnügen“.
Ja. Die Lebendigkeit des Geistes ist für mich das wichtigste, was es gibt.
Fragen: Ute Schalz-Laurenze
Veranstaltungen zu Hans Otte am heutigen Samstag: siehe Tagesprogramm auf Seite 30
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