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Des Dichters spätes Glück

■ Zum 75. Geburtstag von Erich Fried gibt es viele Bilder, aber keine brauchbare Biographie des Dichters. Seine Liebeslyrik ist noch immer ein Bestseller

Den endgültigen Durchbruch hat ein Dichter geschafft, wenn in der „text & kritik“-Reihe seine Monographie erschienen ist und er selbst den Fragebogen des FAZ- Magazins ausfüllen durfte. Erich Fried widerfuhr das doppelte Dichterglück erst spät: 64 war er, als er 1985 den Fragebogen ausfüllen durfte, 65 gar, als ein Jahr später die Monographie erschien. Am 22. November 1988 starb Erich Fried in Baden-Baden an den Folgen seiner langjährigen Krebskrankheit. Seither hat sich viel getan: Es gibt ein Erich-Fried-Archiv in der Wiener Nationalbibliothek, eine Erich-Fried-Gesellschaft, einen Erich-Fried-Preis, verschiedene Materialienbände zu Leben und Werk des Dichters und nun, zum 75. Geburtstag, sogar ein prachtvoll ausgestatteter Bildband im Großformat und mit rotem Leinenrücken, wie er in selben Verlag bislang nur Franz Kafka gewidmet wurde: „Erich Fried – Ein Leben in Bildern und Geschichten“. Nur eine wissenschaftliche Biographie ist trotz verschiedener Versuche noch immer nicht erschienen.

Frieds Ehefrau Catherine Fried-Boswell und der als literarischer Nachlaßverwalter tätige Germanist Volker Kaukoreit haben sich durch die 320 großen Umzugskisten gewühlt, in denen der vollkommen ungeordnete Nachlaß des manisch chaotischen Dichters nach Wien gebracht wurde: Unveröffentlichte Gedichtsmanuskripte und Schuhkartons voller Fotografien, halb korrigierte Satzfahnen und immer wieder an Fried adressierte Kuverts, die bis heute nicht geöffnet sind. Entstanden ist bei der philologischen Fleißarbeit ein Bildband, der in elf großzügig und bisweilen durchaus spannend bebilderten Kapiteln Frieds Lebensweg von der Kindheit in Wien über das Londoner Exil, BBC und Gruppe 47 bis hin zum Ruhm der späten Jahre nacherzählt, ohne dabei rühmen zu wollen. Daß den Autoren eine sachliche und in manchen Passagen sogar fast distanzierte Lebensbeschreibung gelingen konnte, mag daran liegen, daß beide eine lange gemeinsame Lebenswegstrecke gemeinsam mit Fried zurückgelegt haben; der Bild-Text-Band ist aber vor allem Produkt der Erkenntnis, daß Literaturgeschichte nie isolierte Geniegeschichte sein kann – auch Fried schrieb in, über und gegen die Zeit, in der er lebte. Gerade darüber aber gäbe es weit mehr zu erzählen, als das Geburtstagsbuch zu leisten vermag. Fried hat den literarischen Ausschuß gleich stapelweise produziert: Gelegenheitsgedichte, Gefälligkeitslyrik. Daß man sie trotz aller Sorgfalt, erinnert sich der lektorierende Freund Klaus Wagenbach, gelegentlich auch zwischen Buchdeckeln fand, war des Dichters eigenes Kalkül. Immer wieder versuchte er, dem Verleger bereits abgelehnte Gedichte mit den Typoskripten für den nächsten Lyrikband erneut unterzujubeln. Ein bedeutender Lyriker war Fried nicht deshalb, weil er viel schrieb wie kaum ein zweiter, sondern weil er sich einmischte. Ein Obdachloser wurde in Berlin festgenommen, weil er sein Essen auf der Ewigen Flamme wärmte – Fried rief einen befreundeten Rechtsanwalt an und schrieb Petitionen. In Wuppertal regten sich CDU-Politiker darüber auf, daß ein Nicaragua-Gedicht in einer Gesamtschule öffentlich aushing – Fried fuhr hin und diskutierte. Um so wichtiger wäre es, die Wirkungsgeschichte des deutschsprachigen Österreichers mit britischem Paß an Hand seiner Vita nachvollziehen zu können. Der Wagenbach-Band kann das ebenso leisten wie der 1989 im Bund- Verlag erschienene, inzwischen vergriffene und sehr unkritische Band „Erich Fried. Biographie und Werk“ von Gerhard Lampe leisten.

Von der Vorstellung, es könne jemals eine historisch-kritische Gesamtausgabe erscheinen, hat sich Volker Kaukoreit angesichts des umfangreichen Nachlaßmaterials inzwischen verabschiedet: „Wir sind schon froh, wenn wir es schaffen, diesen Nachlaß so weit aufzuarbeiten, daß er den Germanisten und Anglisten zugänglich wird. Denn Frieds Nachlaß ist nicht nur literarisch, sondern auch soziologisch interessant, denken Sie nur an all die RAF-Papiere und -Broschüren, die er natürlich gesammelt hat. Außerdem ist seine BBC-Zeit in den fünfziger und frühen sechziger Jahren noch äußerst schlecht dokumentiert. Seine politischen Ziele waren klar sozialistisch definiert, humanistisch allerdings mußte er Kalter Krieger sein. Weil er sich dieses persönlichen Dilemmas vollkommen bewußt war, halte ich diese Texte jener Zeit und ihr unabhängiges sozialistisches Gedankengut für spannender als die viel angepaßteren der späten Sechziger.“ Fried selbst sprach nicht gern über diese Zeit. Einen Lektor des Claassen- Verlags bat er gar, die entsprechende Passage aus der Kurzvita für die Rückseite eines Schutzumschlags zu streichen: „Dafür hatten wir vereinbart, BBC und Gruppe 47 rauszulassen.“

Nach und nach werden aus dem Nachlaß nun Materialbände veröffentlicht, deren erste beide mit Werkstattberichten und Texten über die Jugendjahre bereits im ambitionierten Wiener Verlag Turia & Kant erschienen sind. Eine Bibliographie soll demnächst folgen, und auch eine Fried-Biographie war bereits konkret in Planung. Dr. Wolfgang Müller vom Rowohlt Verlag erinnert sich: „Wir hatten einen Autor, der sich dann aber als sozial unverträglich erwies. Deshalb haben wir den Titel zunächst verschoben.“ Der Autor, dessen Namen Müller nicht nennt, war Michael Lewin – ein Kulturmanager, der zum Dunstkreis der Erich-Fried-Gesellschaft zählt. Ihr gehören an führender Stelle zwar prominente Köpfe wie Walter Jens und Hans Mayer, Christa Wolf und Stephan Hermlin an; zur Fried-Forschung allerdings hat die Gesellschaft, deren Büro in Wien nicht mehr existiert, bislang inhaltlich kaum beigetragen. Sie pflegte vor allem sich selbst, hatte der Journalist Henryk M. Broder dem „Club des toten Dichters“ im vergangenen Jahr publikumswirksam vorgeworfen.

Volker Kaukoreit träumt unterdessen noch immer von der großen Biographie: „Daß Fried im Augenblick erst einmal ein wenig out ist, liegt daran, daß nach 1989 die alte politische Linie weg ist und mit ihr auch Fried entpolitisiert wurde. Aber Fried wird wieder in sein, sobald es wieder ein politisches Bewußtsein gibt.“ Einen ersten Schritt hin zu einer Repolitisierung des Dichters unternimmt der Verlag Klaus Wagenbach im Herbst. Nach zwei Bänden mit Aufsätzen und Reden zur Literatur und den politischen Texten erscheint dann die Neuauflage des seit langem vergriffenen Gedichtbands „und Vietnam und“. An ihm hatte sich 1966 zum erstenmal die öffentliche Debatte über den politischen Dichter Erich Fried entzündet. Daß er allerdings ein großer Verkaufserfolg werden könnte, bezweifelt selbst Wagenbach-Pressesprecherin Susanne Schüssler: „Der meistverkaufte Lyrikband Deutschlands ist seit Jahren der mit Erich Frieds Liebesgedichten, und die sind größtenteils völlig unpolitisch.“ Stefan Koldehoff

Catherine Fried-Boswell/ Volker Kaukoreit (Hg.). „Erich Fried. Ein Leben in Bildern und Geschichten“. 145 Seiten mit zahlr. Abb., geb., Klaus Wagenbach Verlag, Berlin. 78 DM

Volker Kaukoreit/ Wilhelm Urbanek (Hg.). „Am Alsergrund. Erich Frieds Jugendjahre in Wien (1921–1938)“. 166 Seiten mit zahlr. Abb., Broschur, Turia & Kant, Wien. 26 DM

Volker Kaukoreit (Hg.). „Einblicke – Durchblicke. Fundstücke und Werkstattberichte aus dem Nachlaß von Erich Fried“. 200 Seiten, Turia & Kant, Wien. 26 DM

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