piwik no script img

Too crazy for Cokes

■ Europas „most wanted“-Moderator Ray Cokes ging mit seiner MTV-Show in Hamburg Bierbaden

Ein hyperaktiver Herr mit einem Kinn, das dem von Johannes Rau ähnelt, sitzt in der aus einer Rappelkiste gesägten „Luna-Bar“. Zunächst wünscht er Liebe, Frieden und Glück. Dafür ist der bekannteste Moderator des Musiksenders MTV, Ray Cokes, auch zuständig. Ebenso wie für die Aufforderung an die auf dem Spielbudenplatz in St. Pauli Versammelten, in die Kameras Liebe, Friede und Glück für die „Zuschauer zu Hause“ zu versprechen. Die erste Außenübertragung von Cokes' neuer Show X-Ray Vision nimmt ihren Lauf.

An diesem Donnerstagabend in Hamburg erklärt MTV das datenvernetzte Europa auf den Faxgerät-Inhaber Cokes und seinen semi-legendären Kameramann „Andy-Cam“ zugeschnitten. Im Einklang mit der Kommunikationselektronik, dem regnerischen Wetter, dem nicht gerade spektakelwütigen Publikum präsentiert Cokes nach der Rock-Schlacht-Hop-Band Dog Eat Dog eine der Darstellerinnen aus der amerikanischen Serie Bay Watch. Eine nicht ganz so bekannte Kollegin von Pamela Anderson verspricht im Sinne ihrer Kollegin für das kommende Jahr mehr Action, mehr Speed und vor allen Dingen „more real boobs“.

„Boobs“ sind neben dem „ass“ auch das wichtigste für die von Cokes auf die Bühne geholten Kandidaten, als die die wichtigen Teile des Körpers einer hilflos kichernden Nackttänzerin vom Kiez nennen sollen. Allein, das Intro mit der Musik von Richard Wagner, die Hamburg ausgestellte „crazyness“, der von Cokes auf dem Weg zur Herbertstraße gefilmte Reporter und der mehrfache Hinweis auf die noch zu erwartende Einlage der „Toudn Housn“ helfen alle nicht: Nach der ersten halben Stunde macht sich in den ersten 28 Reihen Mißstimmung breit, und als die „Toudn Housn“, laut Cokes „germany's best band“, gar nicht auftreten, sondern nur als Video eingespielt werden, reicht es. Cokes steigt als netter Überflieger in einen Kran, der ihn über die Köpfe seiner Fans hinweg hievt. Nach mehreren Treffern durch Bierdosen senkt sich der Arm fluchtartig zurück und Cokes entsteigt als ein Unbesiegter, der Niederlagen entkommt, indem er sie nicht zur Kenntnis nimmt.

Damit alle, die dagewesen sind, zuhause etwas Verruchtes erzählen können, drücken sich schließlich bullige „Contros“ durch die Menge in Richtung der vermeintlichen Dosenwerfer. Das Denunziantentum feiert fröhliche Urstände: „Der mit dem roten Pullover ist es gewesen“, sagt irgendjemand, von dem sich die Contros auf die Fährte bringen lassen.

Der Bezichtigte wird im ruppigsten Nelson-Griff „nur des Platzes verwiesen“, wie es eine Sprecherin von MTV Hamburg am nächsten Tag herunterspielt. Ähnliche Kooperationen gehen noch einige Male vor sich, bis das Rödelheim Hartreim Projekt mit einem kaum noch zur Kenntnis genommenen Stück die Veranstaltung beschließt. That's entertainment!

Kristof Schreuf

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen