Immer mit der Zigarette im Mund

Macht und Ohnmacht der Liebespoeten: Bei den diesjährigen lateinamerikanischen Filmtagen in München wurden Spielfilme nach Kurzgeschichten und Drehbüchern berühmter lateinamerikanischer Schriftsteller vorgeführt  ■ Von Thomas Pampuch

Grenzt es an Verrat, in einer von Ungerechtigkeit und Leid gegeißelten Welt Liebesfilme zu drehen? Nicht für Gabriel Garcia Márquez, der auf die Vorhaltungen eines Freundes erklärte: „Die Liebe ist eine Ideologie für die ewig Kämpfenden, um so notwendiger, je mehr Unglück uns das Leben zuzufügen sucht.“

Gegebener Anlaß dieses herzerwärmenden Bekenntnisses war ein Großprojekt von sechs Spielfilmen nach Kurzgeschichten (und Drehbüchern) des kolumbianischen Nobelpreisträgers, das 1988 in fünf lateinamerikanischen Ländern und in Spanien realisiert wurde. Nach ihrer Ausstrahlung im spanischen Fernsehen, das Mitproduzent aller Filme war, hatte nur felix Austria mit seinem braven ORF die Gelegenheit, die „amores difficiles“ zu sehen. In München wurde die Serie jetzt im Rahmen der diesjährigen lateinamerikanischen Filmtage vorgeführt, die das „Centro Cultural Latinoamericano“ veranstaltet. Restdeutschland wird noch ein Weilchen warten müssen: Das ZDF soll aber, so ist zu hören, die Filme irgendwann in synchronisierter Fassung bringen.

Nieves Macia, die neue Leiterin der Filmtage, hatte dieses Mal als Motto „Literatur und Film“ gewählt. Das „poetische Porträt“ über den argentinischen Schriftsteller Julio Cortázar, das Tristan Bauer aus Interviews mit Cortázar und ruhigen Bildern montiert hat, lieferte dabei die passende Einführung. Wie schön, den Dichter in verschiedenen Zeiten seines Lebens einfach über sich erzählen zu hören: immer mit der Zigarette im Mund, unprätentiös, voller Gedanken und Geschichten („Cortázar“, Argentinien 1995). Wohl kein literaturhistorisches Fernsehfeature und schon gar keine verplapperte Talkshow könnten uns Cortázar besser nahebringen. Lesen muß man ihn sowieso selber.

Massimos Troisis wunderbarer „Il Postino“, jene schöne Geschichte, in der Pablo Neruda einem Postboten seine feingesponnenen Metaphern leiht, mit deren Hilfe dieser dann seine Angebetete heimführt, ist zu recht einer der großen Kinoerfolge des Jahres. Es war ein merkwürdig verdrehtes Déjà vu, nun das Original, Antonio Skarmetas „Ardiente Paciencia“ (Mit brennender Geduld, Chile 1983) zu sehen. Sicherlich ist Troisis italienische Fassung lyrischer, liebevoller und abgeklärter. Echter und näher am wirklichen Leben – Nerudas wie Chiles – ist natürlich Skarmetas Version. Oder um es vereinfacht zu sagen: Skarmeta erzählt die Geschichte, wie sie der Postbote erzählen würde. Troisi erzählt sie wie der alte Neruda.

Ach, Dichter und Liebe, dieses Thema umtreibt auch Garcia Márquez immer wieder. Kein weltbekannter Poet, sondern ein kleiner kubanischer Verse- und Metaphernschmied ist der Held des weitaus schönsten Filmes der „amores difficiles“-Reihe: einer jener professionellen Schreiberlinge, die an den Plazas und Parques Lateinamerikas sitzen und den des Schreibens oder der Lyrik unkundigen Liebenden ihre Metaphern verkaufen. „Cartas del Parque“ (Briefe aus dem Park, Kuba 1988) von dem kürzlich verstorbenen Tomás Gutiérrez Alea ist die längst überfällige Happy-End- Version des Cyrano de Bergerac.

In der Geschichte, die 1913 in der kubanischen Kleinstadt Matanzas spielt, kommt der Schreiber Pedro in die pikante Lage, von zwei sich Liebenden als Poet in Dienst genommen zu werden, ohne daß der jeweils andere es weiß. Die Poesie dieser Liebe liegt also allein in seinen Händen: Der Dichter schafft die Liebe, indem er ihr in seinem Briefwechsel mit sich selbst Flügel verleiht. Doch die Liebe, solcherart zur One-man- Show degradiert (jaja, die Dichter!), schlägt zurück: Pedro verliebt sich in Maria, und so diktiert fortan die Liebe den Dichter. Dafür kriegt Pedro dann aber auch Maria. Gutiérrez Alea hat diese feine Parabel über Macht und Ohnmacht des Liebespoeten in ein kleines Meisterwerk umgesetzt, in dem sich die Metaphern nur so jagen, und auch der (steigende, schwebende, brennende, verunglückende) Heißluftballon endlich die ihm zustehende Rolle als ideales Sinnbild jedes wahren Liebesdramas erhält.

Nicht alle Lieben in der Reihe enden so schön. So ergeht es Hanna Schygulla als strenger deutscher Gouvernante, die hinter einem Tauchlehrer her ist und dabei Penthesilea zitiert, ziemlich schlecht („El verano de la Señora Forbes“ von Jaime Humberto Hermosillo, Mexiko 1988). Auch der alte Rumfabrikant, der seiner jungen, aber verheirateten Geliebten ein südwärtsweisendes „Das gehört mir“ auf den Bauch malt, wird damit nicht glücklich („Fabula de la bella Palomera“ von Ruy Guerra, Brasilien 1988). In „Milagro en Roma“ von Lisandro Duque Naranjo (Kolumbien 1988) versucht ein Vater, seine längst gestorbene, aber nicht verwesende kleine Tochter in Rom heiligsprechen zu lassen und in „Un domingo feliz“ von Olegrio Barrera (Venezuela 1988) wandert ein Millionärssöhnchen durchs nächtliche Caracas, schließt Freundschaft mit Nachtklubdamen und einem Saxophonisten, und auch das geht nicht gut aus. Liebe hat bei „Gabo“ viele Facetten und diffizil ist sie immer. Aber Gott sei dank gibt es ja die (lateinamerikanischen) Dichter (und Filmemacher), die uns ewig Kämpfenden beiseite stehen.

Noch immer erreichen viele lateinamerikanischen Filme Europa überhaupt nicht. Es wäre zu wünschen, daß Veranstaltungen wie die in München die Neugier sowohl der Zuschauer wie der Verleiher und TV-Redaktionen wecken. Nachdem die Literatur Lateinamerikas hier nun langsam bekannt geworden ist, wäre es an der Zeit, auch das lateinamerikanische Kino zu entdecken.