: Afrikanisches Gewohnheitsrecht
■ Bremer Juraprofessor Manfred Hinz berät seit sechs Jahren Namibias Regierung/ taz-Serie BremerInnen in Namibia, Teil 3 Von Danyel Reiche, Windhuk/Namibia
Als 1990 mit Namibia der letzte afrikanische Staat seine Unabhängigkeit erlangte, mußte Manfred Hinz nicht lange überlegen: Der Bremer Juraprofessor, lange Jahre gegen die Besatzung Namibias durch Südafrika aktiv, nahm ein Angebot als Berater des namibischen Justizministeriums an. Seit 1993 baut der engagierte Jurist zudem eine rechtswissenschaftliche Fakultät an der Universität der Hauptstadt Windhuk auf.
Seine Leidenschaft für Namibia entdeckte Hinz mit dem Namibia-Projekt an der Universität Bremen, das im Juni im Beisein des namibischen Präsidenten Sam Nujoma sein zwanzigjähriges Jubiläum feiert. Anfangs ging es dabei in erster Linie um die Erstellung von Schulbüchern, die in Exil-Lagern der namibischen Befreiungsbewegung SWAPO in Zambia, Botswana und Kuba für den Unterricht benötigt wurden. „Die juristische Linie kam erst Mitte der 80er Jahre hinzu“, erinnert sich Hinz. In Vorwegnahme der auch von den Vereinten Nationen geförderten Unabhängigkeit des Landes startete die Diskussion über eine mögliche Verfassung für ein demokratisches Namibia.
Der namibische Grundrechtskatalog, in weiten Teilen der deutschen Verfassung ähnlich, wird vielfach als Vorbild in Afrika angeführt. „Aber eine Verfassung ist immer nur so gut wie die Umstände, in denen sie angewendet wird“, betont der Wahl-Bremer Hinz, den es 1971 in die Hansestadt verschlug. Denn faktisch gibt es zwei unterschiedliche Rechtsnormen in dem Wüstenstaat, der bei nur 1,5 Millionen Einwohnern doppelt so groß wie die Bundesrepublik ist. Nur eine Minderheit der Namibier erkennt die Verfassung als oberste Rechtsnorm an.
Im Norden des Landes, wo mit dem Stamm der Ovambos etwa 60 Prozent der Bevölkerung wohnt, wird noch immer das afrikanische Gewohnheitsrecht angewandt. Statt einer Gefängnisstrafe, die laut Hinz in ärmeren Regionen des Landes als „Fünf-Sterne-Hotel“ gilt, vollzieht sich die Justiz dort auf einer „Tausch- und Ausgleichsebene“. Als Entschdigung für ihren ermordeten Sohn erhält eine Familie beispielsweise zehn Rinder, ein Viehdieb muß die doppelte Anzahl der gestohlenen Tiere aufbringen.
„Eine über der Gesellschaft stehende Strafinstanz ist nicht afrikanisches Konzept“, erläutert Hinz, der auch studierter Ethnologe ist. Erst wenn die vom Dorfführer vorgeschlagene Vergütung nicht befolgt würde, komme es zu einer Einschränkung der Freiheitsrechte. Berichte, nach denen etwa Dieben die Hand abgehackt wird, weist Hinz aber als Einzelfälle zurück.
Nach der namibischen Verfassung ist das Gewohnheitsrecht in Teilen bestätigt worden. „Ohne die Instanzen vor Ort würde die Rechtshilfe in Namibia sofort zusammenbrechen“, betont Hinz. Ein Problem sieht er jedoch in der „zersplitterten Rechtslage“. Zu unterschiedlich sei das von den traditionellen Führern verhängte Strafmaß. Eine von Hinz erarbeitete Gesetzesvorlage, nach der sich traditionelle Gerichte einer einheitlichen Regelung unterwerfen müssen, wartet nach Protesten aus den Stämmen auf seine Umsetzung.
Hinz erkennt das Gewohnheitsrecht ausdrücklich an, verschweigt jedoch nicht die Schwierigkeiten, die es mit sich bringt: Etwa daß im Norden Namibias zumeist noch ein Brautpreis erhoben wird und Polygamie gemeinhin akzeptiert wird. „Es wird lange dauern, bis es eine Harmonie zwischen den beiden Rechtsnormen im Lande gibt“, bleibt Hinz realistisch. „Langfristig halte ich dies aber für unabdingbar“, betont der 59jährige.
Daß Hinz und seine Frau Helgard Patemann, die ihrem Mann als Leiterin eines sozialwissenschaftlichen Institutes in Windhuk nach Afrika folgte, eines Tages nach Bremen zu ihren beiden Töchtern zurückkehren, ist beschlossene Sache. Wann genau dies sein wird, ist jedoch noch offen. „Ich habe meine Arbeit hier noch nicht abgeschlossen“, sagt Hinz. „Allerdings weiß ich auch noch nicht, wo das Ende ist“. Danyel Reiche, Windhuk
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