Die eigentlichen Probleme lösen wir so nicht

■ Rede von Christian Weber, Vorsitzender der SPD-Fraktion, Bürgerschaftsabgeordneter seit fünf Jahren

Erkenntnisse für die Zukunft zu gewinnen, ist immer wichtig, insofern hat der Untersuchungsausschuß auch seinen Stellenwert. Gleichwohl bin ich der Auffassung, daß er für die Lösung der aktuellen Probleme auf den Werften keine Hilfestellung bieten wird. Der Untersuchungsausschuß wird keinen einzigen verlorenen Arbeitsplatz wiederbringen. Unsere Aufgabe aber besteht darin, jetzt den verbliebenen Belegschaften auf den Werften und in der Beschäftigungsgesellschaft Perspektiven aufzuzeigen. Die Bürger wollen wissen: Wird es weitere Anschlußaufträge geben? Welche industriellen Partner können gefunden werden? Wie viele Arbeitsplätze wird es künftig geben? Werde ich wieder zum vollen Lohn kommen? Das ist das eigentliche Problem, das wir zu lösen haben. Auf diese Fragen müssen wir Antworten geben können, und zwar schneller als sich der Untersuchungsausschuß Zeit lassen kann.

Kein von Arbeitslosigkeit bedrohter Werftarbeiter wird es uns danken, wenn wir nur Zeit und Geld dafür verwenden, uns in parteipolitischem Gezänk darüber zu ergehen, welche „Wenn – Dann“- Strategie vor zwei Monaten oder vor acht Jahren besser gewesen wäre, Herr Kollege Fücks. Fakt ist, der Vulkan Verbund ist in Konkurs gegangen. Und wenn ich mir über ein WENN – DANN wirklich im Klaren bin, dann so: Wenn wir nicht in längstens einem Jahr, das ist nämlich der Zeitpunkt, an dem das strukturelle Kurzarbeitergeld für die Belegschaft in der Beschäftigungsgesellschaft zu Ende geht, adäquate Antworten für diese Menschen gefunden haben, wie ihre Zukunft weitergeht, dann werden wir hier auf dem Marktplatz eine Demonstration erleben, die sich gewaschen hat.

Politik hätte dann ihre Glaubwürdigkeit verloren. Und wenn am Ende dieser Untersuchung, es wird von zwei Jahren geredet, eine Menge Papier beschrieben sein wird, und wir den Werftarbeitern und ihren Familien nichts anderes zu bieten hätten, als den endgültige Gang zum Arbeitsamt, dann wird es allen Fraktionen bei der nächsten Wahl noch angst und bange werden, bei der Frage, ob dieser Ausschuß nun für die Zukunft die richtigen Antworten gefunden hat oder nicht.

Ohne den Ergebnissen des Ausschusses vorgreifen zu wollen, bin ich sicher, daß es zwischen dem Bremer Senat und dem Vulkan Verbund regelmäßige Kontakte und Informationsaustausche gegeben hat. Schließlich handelte es sich bei den Werften um einen der großen Arbeitgeber der Landes. Natürlich hat das Land Bremen dadurch auch ein Interesse an der Konzernpolitik des Vulkans gehabt, zumal die Landesregierung bei vielen strategischen Entwicklungen des Konzerns um Unterstützung und Hilfen angegangen worden ist. Und nicht nur Bremen, sondern auch der Bund oder die Europäische Union.

Der vorliegende Antrag für den Untersuchungsauftrag konnte interfraktionell abgestimmt werden. Dabei ist jedoch im Vorfeld deutlich geworden, daß nicht alle Komplexe berücksichtigt werden konnten. Grund hierfür ist nicht Verschleierung, sondern die Tatsache, daß es verfassungsmäßige Grenzen gibt, in denen wir uns zu bewegen haben und in diesem Zusammenhang wohl auch die Inanspruchnahme von dem Recht der Zeugnisverweigerung, weil strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet worden sind. Dadurch wird der Grat auf dem sich der Untersuchungsausschuß bewegt kleiner.

Wir werden leider nicht untersuchen dürfen, was es mit dem Engagement und Kauf von Thyssen-Anteilen durch die Commerzbank im Spätherbst 95 auf sich hatte, oder wie die Gerüchte – aus August 95 – von Werftenfusionen der zum Thyssen-Konzern gehörenden Blohm&Voss AG in Hamburg und der Thyssen Nordeseewerke in Emden mit der zur Preussag-Konzern zählenden Kieler Howaldtswerke- Deutsche Werft AG (HDW) im Gesamtkontext der Vulkan-Krise einzuordnen sind.

Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich von der Entstehung des Bremer Werftenverbundes bis zur Konkursanmeldung. Ein Zeitraum von gut 13 Jahren. In diesem Zusammenhang wurde auch der Erfolg von SPD-Beschäftigungspolitik auf den Werften in Frage gestellt. Diese dialektische Verbindung hätte den Charme, daß sich auch ein Umkehrschluß ableiten ließe, nämlich daß die verfehlte Wirtschaftspolitik der Bundesregierung allerdings zum Zusammenbruch des Arbeitsmarktes in Deutschland geführt hat.

Es wird festzustellen sein, daß Schiffbaupolitik in Bremen immer zum Ziel hatte, den traditionsreichen Schiffbau in Bremen und Bremerhaven, als einen modernen, leistungsfähigen und wirtschaftlichen Industriesektor zu erhalten und zu stabilisieren. Viele der Entscheidungen waren mit hohem Risiko verbunden, immer in der Erwartung, daß die strukturellen Anpassungsmaßnahmen die Werftbetriebe in ein wirtschaftlich ruhigeres Fahrwasser bringen würden und den technologischen Vorsprung sichern helfen. Die Entscheidungen, die der Senat oder die parlamentarischen Gremien zu treffen hatten, waren immer Ergebnis von solchen Güteabwägungen. Und schließlich waren sie immer vom Einvernehmen aller im Parlament vertretenen Parteien getragen.

Anders als in der Kohle, galt der Schiffbau in Deutschland weniger als eine nationale Aufgabe des Bundes. Ein Irrtum, denn gut 40% der für den Schiffbau notwendigen Arbeiten werden nicht etwa auf den Werften, sondern im Rest dieser Republik erstellt. Auch in Bremen mußten Werften schließen. Das Aus der AG Weser war nicht nur für Sozialdemokraten ein traumatisches Erlebnis.

In der Folge hieß es für die anderen Werften, sich zusammenschließen, um zu überleben. Es hieß aber auch immer Beschäftigungsabbau. 1975 waren im Land Bremen rund 21.000 Menschen im Schiffbau beschäftigt. 1984, also ein Jahr nach der Schließung der AG Weser, waren es nur noch rund 9.900. Allein in diesen zwei Jahrzehnten wurden mehr als die Hälfte der Arbeitsplätze auf Werften vernichtet. Aber das war noch nicht das Ende. 1985 gehörten zum Bremer Werftenverbund noch rund 8000 Beschäftigte. Im April 1988, dem Jahr, als der Bremer Vulkan sein „Konzept für Anpassung und Umstrukturierung der im Bremer Werftenverbund zusammenarbeitenden Unternehmen“ der Presse vorstellte, arbeiteten noch knapp 6.500 Menschen auf den Werften. Das sollte damals die Beschäftigungsgröße auf den Werften sein, die endlich gehalten werden sollte. Es begann der Aufbau eines maritimen Schiffbautechnologieverbundes.

Heute, Mai 1996, wo die Konkursverwalter das Sagen über den Rest-Konzern und die Werften haben, geht noch es um exakt 4.460 Werftarbeiter. Seit 1975 sind im Lande Bremen also allein im Schiffbau über 16.500 Arbeitsplätze weggefallen. Und alle wesentlichen Entscheidungen die bis dahin nötig waren, an Umstrukturierungsbeihilfen, Bürgschaften, sei es nun im Senat, im Parlament oder in den Ausschüssen, sind allesamt im Einvernehmen der Fraktionen und mit ihrer Billigung unternommen worden.

Das war so, als die SPD noch allein regierte, in Zeiten der Ampel-Koalition und auch in der Großen Koalition, bis auf eine Ausnahme der Grünen, als es im März dieses Jahres um die 200 Mio. Bürgschaft für Costa I ging. Wenn es also eine verfehlte Beschäftigungs- und/oder Industriepolitikpolitik gewesen sein sollte, die den Vulkan in die Pleite führte, dann ist sie zu 95% interfraktionell getragen worden.

Ich bleibe dabei, daß sich die industrie- und beschäftigungspolitischen Ziele der SPD in Sachen Bremer Vulkan und maritimer Schiffbautechnologie der vergangenen 13 Jahre nicht zu verstecken brauchen. Die jetzt als „Perle“ des Konzerns gepriesene STN-Atlas Elektronik zum Beispiel, gäbe es ohne SPD-Regierungspolitik schon längst nicht mehr.

Ich frage mich aber auch, wie verantwortlich diejenigen Wirtschafts- und Finanzstrategen gehandelt haben, die zwar Hennemann zum Gehen brachten, aber ohne einen Nachfolger dastanden? In einer solchen Situation einen 23.000-Mann-Konzern, mit sechs Milllarden Umsatz und akuten Liquiditätsproblemen ein halbes Jahr lang führungslos zu lassen, das ist mehr als fahrlässig.

Genauso zu denken gibt die Tatsache, daß man 1.000 Seiten Vorstandsprotokolle in Redaktionsstuben einsehen kann. Wenn Wirtschafts- und Finanzstrategen der Meinung gewesen sind, daß die Person Hennemann nicht mehr tragbar gewesen ist, dann ist das eine Sache. Aber was vielleicht als ein notwendiger Führungswechsel an der Spitze geplant gewesen ist, ist dann aber derart dilettantisch und unprofessionell exerziert worden, daß es schließlich im Konkurs des größten deutschen Schiffbaukonzerns endete. Und das kann ich keinem Werftarbeiter und seiner Familie mehr erklären.

In einem Radiokommentar vom 7. Mai war zu hören, daß dieser Untersuchungsausschuß, gelinde gesagt herzlich überflüssig sei. Ich zitiere: „Ein gefundenes Fressen für die Kommissare der Europäischen Union, die Bremen zur Zeit ohnehin nicht freundlich gesonnen sind.“ Die SPD stimmt der Einsetzung ja zu, wie Sie wissen. Trotzdem sehe ich natürlich den Funken Wahrheit, der in diesem Kommentar steckt.