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Nachts in müllverwehten Städten

Postmoderne Kulturkritik in kühlem Bühnenbild: Simone Schneiders „Orwell“ wurde in einer Inszenierung von Armin Petras in Mannheim uraufgeführt  ■ Von Jürgen Berger

Was George Orwell in „1984“ als Zukunft eines total überwachten Individuums imaginierte, ist in Simone Schneiders zweitem Stück bereits Vergangenheit. Auf der Bühne stehen wesensentleerte Schlafwandler, die sich selbst überwachen, da sie nicht wissen, ob sie geklonte Retortenwesen oder tatsächlich noch sie selbst sind. Simone Schneider versucht eine Zuspitzung postmoderner Medienkritik, der zufolge TV-Zuschauer nicht mehr zwischen Realität und ihrer Simulation unterscheiden können. Also muß auf der Bühne unter anderem auch eine Theorie in Szene gesetzt werden, die zumindest fragwürdig ist.

Die Auftragsarbeit war ursprünglich als Bearbeitung von Orwells Roman geplant, am Mannheimer Nationaltheater ist man natürlich alles andere als unglücklich, daß ein eigenständiges Stück daraus wurde.

Uraufgeführt wurde „Orwell“ am Pfingstwochenende von Armin Petras, der jüngst am Berliner Ensemble Trolles „Die Baugrube“ auf die Bühne brachte. In Mannheim sorgte er letzte Spielzeit mit einer eigenwilligen „Iphigenie in Delphi“ für dezente Aufregung beim Abonnement und versetzte einen „Theater Heute“-Kritiker derart in Rage, daß er im Publikum schier randalierte.

Das könnte jetzt wieder passieren, da auf der Bühne so gar nichts mehr davon zu sehen ist, was Theaterbesucher zu sehen gewohnt sind. Kein hergebrachtes Bühnenbild mit Sendeanstalt, wo das Ganze spielt. Keine Redaktionsräume und keine Chefetage, von der aus ein Herr mit dem sinnigen Namen Stalin die Fäden zieht.

Petras hat mit äußerstem Stilwillen eine kühle Kunstwelt auf die Bühne gestemmt, in der mehrere ineinandergeschachtelte Ebenen in unterschiedlichen Farben lagern und in der sich Schneiders Personnage in choreographierter Kälte bewegt. Das Bewußtsein, man könnte auch ein maschinell hergestellter „Alias“ sein, hat roboterhafte Bewegungen zur Konsequenz. Für die Choreographie verantwortlich zeichnet Mara Kurotschka, die ihr Bestes gab. Das Ergebnis: choreographierte Kälte, und das bei einem Text, der eher belebt werden müßte.

Petras eliminierte die dialogischen Ansätze und Handlungsstränge weitgehend. Wenn Orwell von seinem geplanten Zukunftsmagazin erzählt und daß er sich in die junge Leila verliebt hat, macht er das ausdruckslos und in eine Richtung blickend, während die Körperteile normierte Bewegungen durchführen.

Leila hat sich im Sender schnell vom Pubertätskanal zum Pornoplot hochgearbeitet und will Karriere machen. Anders als zwei Jugendliche, bei denen Petras' Umdeutung am weitesten geht. Bei Simone Schneider gehören sie noch einer Art Geheimkommando an, in Kurotschkas/Petras' Choreographie wird ein sprachloses Doppelwesen aus ihnen, das synchron durch die geschachtelten Ebenen flutet. In der ursprünglichen Fassung wird ganz deutlich, daß der Junge der Sohn einer Frau namens Emily ist, Petras strich viele dieser Hinweise auf personale Verbindungen, so daß manche Textstelle ziemlich unvermittelt kommt. „Serienkiller wird mein Kleiner. Männermonster / Rennt nachts durch müllverwehte Städte“, sagt Emily, und es ist wie ein kurzes Rauschen im Raum.

Was übrigbleibt, wird ins Leere einer allumfassenden Ernüchterung nach den Delirien der Postmoderne gesprochen. Alle bewegen sich genau konstruiert in einem genau konstruierten Kunstraum. Es kommt zu überzeugenden Arrangements, etwa wenn Orwell und Leila in einer der zellenartigen Ebenen nebeneinander lagern und unvermittelt nach oben verschwinden, während von dort das Bein des nächsten Akteurs erscheint. Man sieht dem gerne zu, ertappt sich aber immer wieder beim Gedanken, daß man genausogut eine Vernissage hätte besuchen können.

Am Ende verläßt man den Kunstraum unberührt und ist um eine Erkenntnis reicher. Simone Schneiders Texte, das wurde schon bei ihrem Debüt „Die Nationalgaleristen“ am Münchner Residenztheater deutlich (taz vom 11. 10. 94), leben in Gefahr, konstruiert zu wirken. Armin Petras' Inszenierung hat diese Tendenz eher verstärkt, wodurch gnadenlos deutlich wird, daß auch postorwellsche Menschen was Lebendiges haben müßten, wollten sie auf einer Schauspielbühne bestehen.

Im Scheitern am konsequentesten ist Mannheims Orwell-Darsteller, der während neunzig Minuten den nichtssagenden Mittvierziger so nichtssagend gibt, daß jeder Satz aus seinem Mund schlichtweg nichts sagt. Das Stück endet mit einem Mord. Dran glauben muß Emily, die eigentlich von einem Pfeil gemeuchelt wird. In Mannheim wird das Ganze mit einem aparten Seestern erledigt, der frisbeegleich durch die Luft und ins Herz schneidet.

Simone Schneider: „Orwell“.

Regie: Armin Petras.

Bühne: Olaf Altmann.

Choreographie: Mara Kurotschka.

Mit Ronald Funke, Eleonore Bircher, Werner Galas, Manfred Trabant, Wolfgang Jaroschka.

Nationaltheater Mannheim.

Weitere Aufführungen:

28., 29. Mai, 22., 23. Juni

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