Nur zappelnde Beine festgehalten

■ Prozeßauftakt zum Mißhandlungsfall Oliver Neß: Zwei Polizisten unter Anklage

Aus dem Munde des Angeklagten klingt der spektakulärste Übergriff des Hamburger Polizeiskandals wie ein harmloser Zwischenfall: Der Polizist Oliver H. will zwei Beamte gesehen haben, die einen „Zappelnden auf dem Boden festhielten“. In der Annahme, daß es sich um eine rechtmäßige Festnahme handelte, sei er spontan zur Hilfe geeilt und habe sich um die strampelnden Beine gekümmert. Die Beine gehörten dem an den Demo-Auseinandersetzungen völlig unbeteiligten ARD-Journalisten Oliver Neß, 28, der bis heute an den Folgen des zweifachen Bänderrisses am rechten Fuß leidet.

In dem mit Spannung erwarteten Prozeßauftakt vor dem Hamburger Landgericht erhielten die beiden beschuldigten Polizisten, Oliver H., 29, und Olaf A., 25, Gelegenheit, ihre Sicht der Dinge darzustellen. Ihnen wird zur Last gelegt, Neß am 30. Mai 1994 während der Kundgebung des österreichischen Rechtsaußen Jörg Haider schwer mißhandelt zu haben. Vor laufenden Fernsehkameras. Die Anklage wirft den Beamten Körperverletzung im Amt und Freiheitsberaubung vor. Polizeiopfer Neß tritt als Nebenkläger auf.

Während Olaf A. vorerst nicht aussagen wollte, stellte Oliver H. die Verletzungen als Folge eines mißglückten Polizeigriffs dar. Oliver H. ließ aber offen, ob es wirklich Neß war, dessen Beine er fixierte. Auf den Videos von Polizei und Medien habe er sich nicht erkannt. Wie er es sich denn erklären könne, daß laut Gutachten 250 Kilo Kraft nötig sind, um den Bandapparat derart zu zerfetzen wie es bei Neß der Fall war, wollte die Staatsanwaltschaft wissen. „Bewußt habe ich bestimmt nicht den Fuß verdreht schon gar nicht in beide Richtungen“, so Oliver H. Möglicherweise hätte der auf dem Boden liegende Neß eine Drehung durch Strampeln verursacht. Die Frage, ob er einen Auftrag erhalten und zum Eingreifen gegen den Journalisten aufgefordert worden sei, verneinte Oliver H. vehement. Die Behauptung der Nebenklage, es habe sich bei dem Übergriff um einen Racheakt gegen den Polizeikritiker Neß gehandelt, halte er für „absurd“.

Ursprünglich wurde gegen fünf Polizisten ermittelt; nur bei zweien aber hielt die Staatsanwaltschaft die Beweise für ausreichend. Zweimal wurde der kritische Journalist Oliver Neß auf dem Gänsemarkt zu Boden geprügelt; zuerst war es ein Zivilfahnder, der ihn bedrohte – „Heute bist du dran!“ – und ihn unvermittelt niederschlug. Mit seinem Schlagstock trieb ein Polizist – laut Anklage Olaf A. – ihn vor sich her, bevor er erneut niedergeknüppelt und schwer mißhandelt wurde. Nicht der gesamte Vorgang ist auf Videobändern dokumentiert. Neß, der den Zivilfahnder als Andreas V. identifizierte, hatte es vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß (PUA) als Skandal bezeichnet, daß Andreas V., Initiator des Übergriffs, nicht angeklagt wurde.

Morgen wird Neß, der gestern wegen eines Reha-Klinik-Aufenthalts nicht am Prozeß teilnahm, vor Gericht aussagen. Andere Augenzeugen, darunter Journalisten und Polizisten, sind ebenfalls am morgigen Freitag als Zeugen geladen.

Silke Mertins