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■ Mit der Zeitmaschine auf Parallelwelt-TourDas Großmutter-Paradoxon

Wie leicht hätte die Kugel danebengehen können. Wie leicht hätte sie nicht den ohnehin schon arg geschundenen James Cole treffen können, der in geheimem Auftrag aus dem dritten Jahrtausend ins Jahr 1995 geschickt wurde. Wie schwer aber auch hätte es dann Regisseur Terry Gilliam gehabt, seine zwölf Affen aus diesem logischen Schlamassel herauszubekommen! Denn wie soll das gehen? Welcher James Cole hätte in die Vergangenheit zurückgeschickt werden können, wenn er schon als Neunjähriger Opfer einer verirrten Kugel geworden wäre?

Fragen über Fragen, wenn im Kino wieder einmal die Zeitmaschine angeworfen wird wie zuletzt in „12 Monkeys.“ Gut zu wissen, daß man als Kinogänger nicht der einzige ist, der sich solche Fragen stellt. Seit Ende der achtziger Jahre gehen auch renommierte Physiker der Frage nach, ob es nicht tatsächlich so etwas wie Zeitmaschinen geben könnte. Das überraschende Ergebnis: Es könnte.

Schon in den frühen sechziger Jahren fand der Mathematiker Roy Kerr heraus, daß sich rotierende Schwarze Löcher zu einem Ring verformen, durch den man feuerreifengleich hindurchspringen und in einer anderen Zeit landen könnte – und das ohne im extremen Gravitationsfeld des Schwarzen Loches zu zerschellen. Da Schwarze Löcher auch zu Kerrs Zeiten eher selten waren, geriet dieser Ansatz schnell in Vergessenheit.

Erst zwanzig Jahre später bat der Astrophysiker Carl Sagan den Relativitätstheoretiker Kip Thorne seinen Science-fiction-Roman „Contact“ auf physikalische Stichhaltigkeit zu überprüfen. Dabei entdeckte dieser noch eine andere Möglichkeit der Zeitreise: sogenannte „Wurmlöcher“, die zwei Schwarze Löcher miteinander verbinden. Durch diese tunnelartigen Gebilde wäre es, wie schon bei Kerr, möglich, sich ans andere Ende des Universums zu begeben – oder in eine andere Zeit. Sogar in angesehenen Fachzeitschriften wie der Physical Review Letter wird das Phänomen der Zeitreise seither diskutiert.

Den Laien interessiert natürlich besonders die Frage, wie man sich die Ankunft in der Vergangenheit vorzustellen hat. Beam-me-up-artiges Materialisieren scheint auszuscheiden. Vielmehr sieht es so aus, als müsse der Zeitreisende erst einmal mit einem Raumschiff zu einem geeigneten Schwarzen Loch, durch dieses hindurch – und dann wieder zurück zur Erde (in diesem Fall einer früheren). Das würde natürlich dauern. Auf jeden Fall käme er aus dem All zurück in die Zukunft.

Die Frage, wie es möglich sein könnte, daß James Cole (jung) in den Armen von James Cole (alt) stirbt, bleibt auch bei Zeitreisenentdecker Kip Thorne unbeantwortet. Ein Problem, daß in einschlägigen Wissenschaftlerkreisen als „Großmutter-Paradoxon“ bezeichnet wird: A reist in die Jugend seiner Großmutter zurück, verkuppelt sie mit einem anderen Mann und wird nie geboren.

Der russische Tüftler Igor Novikov hat eine physikalischere Variante des „Großmutter-Paradoxons“ durchgerechnet. Eine Billardkugel rollt in einen Zeittunnel, kommt nach ein paar Sekunden, aber auch ein paar Sekunden früher, mithin gleichzeitig, wieder heraus – und stößt sich selbst vom Tunneleingang fort. Sein verblüffendes Ergebnis: Unter der Annahme allgemeiner physikalischer Voraussetzungen kann es eine solche Billardkugel nicht geben. Ddie „logische Selbstkonsistenz“ ist gewahrt.

Entschieden mystischer ist die Parallelwelt-Theorie, wie sie David Deutsch von der Universität Oxford vertritt. Auf der Quantenphysik beruhend besagt sie, daß alles Geschehene immer schon alle Möglichkeiten in sich trägt, die auch tatsächlich alle, jede mit ihrer Wahrscheinlichkeit, verwirklicht werden.

Die meisten Quantenphysiker freilich glauben, daß von allen Möglichkeiten jeweils nur eine realisiert wird. Dabei ist die Vielwelten-Theorie logisch und experimentell nicht widerlegbar. Mehr noch: Nur mit ihr läßt sich das „Großmutter-Paradoxon“ wegerklären: In dem Moment, da A seine Großmutter mit einem anderen verkuppelt hat, geht die Geschichte einfach anders weiter als die, aus der er zurückgekehrt ist. In ihr wird kein kleiner A geboren, muß auch nicht, es gibt ihn ja in einer der anderen Welten.

Damit zerstiebt freilich auch die Hoffnung derer, die James Cole in die Vergangenheit geschickt haben, um ihm noch einen Revolver zukommen zu lassen, auf daß er den Viren-Bösewicht töten möge, der sie ins Unglück gestürzt hat. An ihrer eigenen Geschichte vermag das nämlich nichts zu ändern. Allein ihre Parallelwelt-Zwillinge könnten so gerettet werden – und das ist wohl nur ein schwacher Trost. Hans-Peter Stricker

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