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Ein einmaliges Armutszeugnis

Nach dem 1:0-Finalsieg: Fußballmeisterin TSV Siegen hat kein Geld und womöglich keine Zukunft mehr, Vize Praunheim dagegen prosperiert  ■ Von Matthias Kittmann

Praunheim (taz) – Wenn Siege zu Niederlagen und Niederlagen zu Siegen werden, dann geht es meistens um Geld. Das ist im Frauenfußball nicht anders als anderswo. Deshalb strahlte Siegfried „Siggi“ Dietrich auch über beide Ohren, obwohl mit der SG Praunheim sein Team gerade das Meisterschaftsfinale mit 0:1 gegen den TSV Siegen verloren hatte. Sportlich war es nicht unbedingt das ganz große Finale. Den beiden Außenseiterinnen war deutlich anzumerken, daß ihre Stärke eher im Reagieren denn im Agieren liegt. Letztendlich siegte die Routine gegen die stürmische, aber nervöse Jugend. Doch die Präsentation, der Endspielrahmen, der stimmte.

Was am Sonntag geschah, war kein verschämter Kick unter Ausschluß der Öffentlichkeit, sondern die selbstbewußte Demonstration einer Sportart. „Es ist ein Experiment, mit so einem Endspiel in eine Großstadt wie Frankfurt zu gehen“, hatte zuvor die Frankfurter Sportdezernentin und langjährige Frauenfußball-Sympathisantin Sylvia Schenk halb bang, halb zuversichtlich geäußert. Die hochverschuldete Kommune hatte sich für dieses Finale ungewöhnlich spendabel gezeigt und dem Stadtteilteam aus Praunheim mit dem Stadion am Brentanobad die modernste Sportanlage der Stadt spielfertig und kostenlos zur Verfügung gestellt. Kurz vor Anpfiff muß der ehemaligen 800-Meter- Läuferin Schenk ganz warm ums Herz geworden sein: Trotz leichten Regens kam es zu Staus vor den Parkplätzen und Schlangen an den Kassenhäuschen. Am Ende säumten 3.100 BesucherInnen den Fußballplatz; es war die mit Abstand größte Kulisse eines Frauen-Endspiels der letzten fünf Jahre.

Da konnte auch der Deutsche Fußballbund (DFB) nicht mehr an sich halten: „Was hier gelaufen ist, war wegweisend“, lobte Hannelore Ratzeburg, erste und einzige Frau im Vorstand des DFB und die anwesende männliche (zweite) Garde der Fußballsachwalter nickte brav, als sie fortfuhr: „Ich hoffe, daß sich das viele Bundesligaklubs angeguckt haben, denn hier und heute konnten sie lernen, wie man so ein Spiel aufzieht.“

Die eingleisige Bundesliga 1997/98 wirft ihre Schatten voraus. Und der Mann, von dem die Konkurrenz das finanzielle Siegen lernen soll, konnte sich zufrieden zurücklehnen. Siegfried Dietrich, im Hauptberuf Inhaber einer Sportmarketingagentur, litt noch nie an unterentwickeltem Selbstbewußtsein, was ihm in der Branche meist Neid oder Häme einbrachte. Damit zu prahlen, den höchsten Etat in der Bundesliga zu ventilieren, vor allem aber, ihn auch auf die Beine zu stellen, galt bis vor kurzem noch als Nestbeschmutzung in der gemütlich vor sich hindümpelnden Frauenfußballfamilie.

Nun kostet er seinen Erfolg genüßlich aus. Und der Niederlage seines Teams gewinnt er einen positiven Aspekt ab: „Jetzt haben wir wenigstens noch Ziele.“ Die Sponsoren hatten schon vor dem Finale eine weitere Aufstockung ihrer Geldbeträge zugesichert. Genaue Summen wurden zwar nicht genannt, aber der Etat dürfte in der kommenden Saison deutlich über 300.000 Mark liegen.

Siegens Trainer Dieter Richard konnte da nur ungläubig staunen. Der Sieger-Schampus war kaum verspritzt, da überwogen bei ihm schon bald die Sorgen um die Zukunft. Die siebenmalige deutsche Meisterin kämpft ums Überleben: „Es wäre einmalig in der Geschichte des Frauenfußballs und gleichzeitig ein Armutszeugnis, wenn der Meister in der Saison darauf nicht mehr in der Bundesliga spielte“, unkte Richard. Hintergrund ist der Rückzug des Hauptsponsors. Ohne Vorwarnung hatte der Wurstfabrikant aus dem Siegerland zum 1. März seinen Vertrag gekündigt.

Die Siegerinnen traf diese Entscheidung bis ins Mark: „Die Erfolge des TSV sind untrennbar mit unserem Sponsor verbunden“, sagte Richard. Alles in allem 250.000 Mark war dem Sponsor der Spaß jährlich wert. Der TSV lebte gut damit. Selbst daß der Sponsor wichtige Entscheidungen mittraf, störte nur wenige.

Für den Kurswechsel gibt es offiziell zwar keine Begründung, doch dürfte sich die Angelegenheit so abgespielt haben. Ende Februar hatten der TSV und sein Sponsor in einer geheimen Sitzung die Verlängerung des Vertrages für die nächsten zwei Jahre ausgemacht. Einzige Bedingung des Sponsors: In der Vereinsführung müßten sich einige strukturelle Dinge ändern. Einige Tage später gelangten Details dieser Sitzung an die Öffentlichkeit. Seitdem spielt der Sponsor die beleidigte Leberwurst.

Mit dem Titel hofft der TSV nun, entweder die Siegener Wirtschaft in Zugzwang zu bringen oder in letzter Sekunde einen ganz neuen Sponsor an Land zu ziehen. Der „Verkauf“ des Endspiels für knapp 20.000 Mark an die SG Praunheim und der Anteil aus den TV-Übertragungskosten (25.000 Mark) bringt zwar etwas Geld in die leere Kasse, doch um Kräfte wie Doris Fitschen, Karina Sefron und Louise Hansen halten zu können, bedarf es eines deutlich höheren Etats. Praunheim und der FSV Frankfurt wären dankbare Abnehmer der Spitzenkräfte.

Intern hat der Klub seine Spielerinnen um eine Frist bis zum 10. Juni gebeten. Wenn er dann seine Option nicht wahrnehmen kann, ist auch das Schicksal des TSV Siegen entschieden: Statt Titelverteidigung hieße es Verbandsliga.

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