: Die schwere Wahl zwischen Gummibär und Kadi
■ Gesundheitsminister ist wegen BSE zwischen EU und Bundesrat eingequetscht
Brüssel (taz) – In Deutschland gilt noch bis Ende September ein Importverbot für britische Rindfleischprodukte. Schon bevor die EU ein Exportverbot erlassen hatte, war nämlich die deutsche Verordnung im März in Kraft getreten. Sie schreibt über den EU- Beschluß hinausgehend vor, daß Importe von Rindfleisch und -erzeugnissen angemeldet werden müssen. In Begleitpapieren muß bescheinigt werden, daß die Einfuhren nicht von Rindern aus Großbritannien, Nordirland und der Schweiz stammen. Auch Bestände, in denen schon einmal BSE aufgetreten ist, sind tabu.
Der britische Außenminister Malcolm Rifkind machte gestern in Bonn deutlich, daß er eine Rücknahme dieser Restriktionen nach der Teillockerung des Exportverbots durch die EU erwartet. Baldige Sanktionen der EU gegen die deutschen Maßnahmen sind nach Äußerungen des Brüsseler Agrarkommissars Franz Fischler jedoch nicht zu erwarten: Die Erlaubnis des Exports von Samen, Gelatine und Talg sei mit Produktionsauflagen verbunden, die soforftige Ausfuhren unmöglich machen.
Hierzulande wird unterdessen wieder über einen längerfristigen nationalen Alleingang debattiert. Seitens der Bundesregierung ist eine derartige Strategie jedoch angesichts des angespannten Verhältnisses zwischen Großbritannien und dem Rest Europas unwahrscheinlich. Ein Affront wäre ein nationaler Sonderweg aber auch gegenüber der EU. Das EU- Lebensmittel- und Veterinärrecht läßt nationale Maßnahmen nämlich nur zu, bis die zuständigen EU- Gremien eine gemeinsame Politik festgelegt haben. Dieses Verfahren soll als Gesundheitsschutz maskierten Protektionismus verhindern. Längerfristig würde ein nationaler Alleingang deshalb mit Sicherheit zu einem Vertragsverletzungsverfahren führen. Die Briten könnten das Bad-guy-Image schnell an die Deutschen abgeben. Dabei würde negativ zu Buche schlagen, daß die Bundesregierung mit ihrer „wissenschaftlichen“ Argumentation schon heute allein auf weiter Flur steht. Seehofers Vorwurf, daß in Sachen Gelatine noch inhaltliche Widersprüche zwischen den verschiedenen EU-Expertenausschüssen bestehen, wird nicht einmal von Österreich und Spanien geteilt. Dort sagt man offen, worum es geht: die Verweigerung an der Gelatinefront soll die Briten zu Nachbesserungen ihres Schlachtprogrammes bewegen.
Verhält sich Seehofer aber EU- konform und hebt das Einfuhrverbot für Gelatine auf, muß er mit Konflikten an anderer Front rechnen. Verordnungen des Gesundheitsministeriums bedürfen der Zustimmung des von der SPD dominierten Bundesrats. Spielen die Länder nicht mit, steht Seehofer blöde da. Ein halbes Jahr kann er sich die Länder vom Leib halten, indem er Dringlichkeitsverordnungen erläßt. Dann aber müssen auch diese die Zustimmung des Bundesrats erhalten.
Die Länder haben bereits signalisiert, daß sie jeder Lockerung einer strikten Linie ablehnend gegenüberstehen. Sie setzen damit ihre Verweigerungshaltung aus dem vorigen Jahr fort, als sie von Seehofer ein totales Importverbot für britisches Rindfleisch forderten. Seehofer löste das Problem damals, indem er neue EU-Beschlüsse zum Anlaß nahm, weitere Dringlichkeitsverordnungen zu erlassen. Anfang 1996 war diese Taktik ausgereizt. Der Bundesrat blockte endgültig, einzelne Länder erließen eigene Importverbote, die EU-Kommission begann zu ermitteln. In diese sich zuspitzende Situation platzte das Eingeständnis der britischen Regierung, daß es doch einen Zusammenhang zwischen Rinderwahn und der für Menschen tödlichen Creutzfeldt- Jakob-Krankheit geben könnte. Plötzlich fragte niemand mehr nach der Rechtmäßigkeit des Vorgehens der Länder. Jetzt aber steht das Thema wieder auf der Tagesordnung Christian Rath
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