: Distanzierte Hausverwalterin
■ Gesichter der Großstadt: Kerstin del Valle, die Beauftragte für besetzte Häuser in Prenzlauer Berg, räumt ihren Sessel. Sie verhalf 800 Besetzern zu Mietverträgen
„Ich pack' hier nur noch meine Sachen zusammen.“ Sechs Jahre lang war Kerstin del Valle die Spezialbeauftragte für besetzte Häuser bei der Wohnungsbaugesellschaft Prenzlauer Berg (WIP). Mitte Juni, wenn del Valle ihren Schwangerschaftsurlaub antritt, wird ihre einmalige Abteilung aufgelöst. Die große Zeit der Hausbesetzungen ist lange vorbei. Bei der WIP sieht man keinen Bedarf mehr für eine Spezialabteilung. Del Valle bedauert dies nicht. Trotz ihrer langjährigen Arbeit mit der bunten Szene blieb sie eine distanzierte Hausverwalterin.
Nur noch 20 der ursprünglich über 40 besetzten Häuser in Prenzlauer Berg werden von der Wohnungsbaugesellschaft verwaltet. Und nur noch in zwei Häusern gibt es geduldete Besetzer ohne Mietvertrag. Nicht nur die Wohnsituation, auch die ehemaligen Besetzer hätten sich geändert, meint del Valle. Längst hätten sich die Bewohner auf die anfangs kritisierten Einzelmietverträge zurückgezogen und wollten abschließbare Wohnungen an Stelle offener Gemeinschaftsbereiche.
Einen besonderen Bezug hatte die damals noch unverheiratete Kerstin Riekehr nicht zu den Besetzern, als sie ihre neue Aufgabe übernahm. „Am Anfang hab' ich nicht mit absoluter Begeisterung gearbeitet“, meint del Valle, die damals gerade 25 Jahre alt war. Der jungen Bauingenieurin bereitete nicht nur die überraschende Verantwortung Sorgen. Auch mit den ihr wenig seriös scheinenden Leuten, die da plötzlich in die jahrelang leerstehenden, teils zerstörten Häuser zogen, habe sie Probleme gehabt. „Deren Zielvorstellungen erschienen mir doch sehr utopisch.“ Erst als die Besetzer ihre Häuser für den ersten Winter präparierten, begann sie an deren Ernsthaftigkeit zu glauben.
„Im Gegensatz zu den anderen Bezirken wollten wir die Häuser nicht nur registrieren“, sagt del Valle. In der Wendezeit richtete sie zusammen mit der damaligen Bezirksvertretung eine Arbeitsgruppe ein, um die Besetzer kennenzulernen und zu beraten. Beim Westberliner Sanierungsträger SPI erkundigte sie sich über Möglichkeiten zur friedlichen Konfliktlösung. „Was ich da gelernt habe, konnte ich gleich am nächsten Tag weitergeben.“
Mitte 1990 setzte sie sich mit dem Besetzerrat an einen Runden Tisch. Seit die „Berliner Linie“ auch im Ostteil der Stadt galt, standen Räumungen nicht mehr zur Debatte. Innerhalb von drei Monaten schloß sie 800 Einzelmietverträge ab, als erste Sicherheit bei drohenden Rückübertragungen. Fünf WIP-Häuser werden derzeit von den Bewohnern saniert. Die Eigentümer zweier weiterer Häuser konnten für langfristige Pachtverträge gewonnen werden.
„Nach dem 3. Oktober 1990 mußte ich jedoch strikt trennen. Neubesetzungen durften nicht mehr geduldet werden“, beruft sich del Valle auf die gesetzlichen Vorgaben. „Denen mußte ich sagen, ihr seid halt zu spät.“ So kam es im November 1990 zur ersten konfliktbeladenen Räumung in der Cotheniusstraße. Dies war der Auslöser für die schweren Krawalle in Friedrichshain, in deren Folge nicht nur zwölf Häuser in der Mainzer Straße geräumt wurden, sondern auch die rot-grüne Koalition platzte.
Auch wenn del Valle für ihre Arbeit gerade in den ersten Jahren fast die gesamte Freizeit opferte, bestand sie gegenüber den Besetzern stets auf der förmlichen Anrede „Sie". Privatatmosphäre ließ sie nur ansatzweise zu, wenn ihr das für Gespräche mit ihrer Klientel nützlich schien. Del Valle wollte Respektperson bleiben, nach außen und nach innen. Auch innerhalb der Wohnungsbaugesellschaft sei ihre Abteilung skeptisch beäugt worden, meint del Valle. So war unbedingte Loyalität gegenüber ihrem Arbeitgeber ihr oberstes Gebot.
Im Umgang mit den Besetzern hielt sie sich strikt an die Rechtslage. Das sei ihre eigentliche Stärke gewesen, lobt man sie dafür heute in der WIP. Mit einem resoluten Nein auf den Lippen ließ sie schon mal Bezirksvertreter am Runden Tisch sitzen und rief die Polizei zur Räumung. „In der Zeitung steht dann immer, die Besetzer hätten das Haus freiwillig verlassen“, amüsiert sie sich. „Wenn 100 Polizisten vor dem Haus stehen, würde ich auch gehen.“
Ausnahmen machte del Valle nur bei Häusern, die nach einer Rückübertragung an die Alteigentümer nicht mehr durch die WIP verwaltet wurden. „Wenn die Bewohner dann zu mir kamen, hab' ich ihnen auch Tips zum Umgang mit den neuen Besitzern gegeben“, freut sich die Hausverwalterin über das in sie gesetzte Vertrauen. Persönliche Kontakte zu den Besetzern sind aus ihrer Arbeit nicht entstanden. Doch sie hat sich zur Spezialistin entwickelt. „Was die Vergangenheit angeht, wird man weiter bei mir nachfragen“, meint del Valle nicht ohne Stolz. Schließlich kenne sich niemand besser aus als sie. Gereon Asmuth
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