: Biedenkopf grobe Stillosigkeit vorgeworfen
■ Sachsens Drohung, die Länder-Tarifgemeinschaft zu verlassen, wird von der ÖTV attackiert. Der Ministerpräsident wolle nur die Schlichtungsgespräche beeinflussen
Bonn (taz) – Die Drohung des sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU), aus der Tarifgemeinschaft der Länder auszuscheren, falls es nicht zu einer Nullrunde im öffentlichen Dienst kommt, ist bei Gewerkschaftern und Oppositionsparteien auf zum Teil harte Kritik gestoßen.
Der Pressesprecher der ÖTV, Thomas Wunder, kritisierte die Ankündigung Biedenkopfs als „grobe Stillosigkeit“. Es sei nicht akzeptabel, daß die Tarifparteien während der Schlichtungsverhandlung derart von außen unter Druck gesetzt würden. Biedenkopf müsse sich fragen lassen, ob er die Schlichtung überhaupt akzeptiere. Die ÖTV halte sich mit Stellungnahmen während der Schlichtungsverhandlungen zurück. Dies müsse auch für die Arbeitgeberseite gelten.
Die Schlichtungsgespräche gingen gestern in die zweite und entscheidende Runde. Die 20köpfige Kommission unter Vorsitz des früheren rheinland-pfälzischen Regierungschefs Carl-Ludwig Wagner hat maximal bis Samstag Zeit, eine Einigungsempfehlung vorzulegen. Danach müssen Arbeitgeber sowie die Gewerkschaften die Tarifverhandlungen wieder aufnehmen. Die Tarifparteien wahrten weiterhin Stillschweigen über den Ort und den Stand ihrer Gespräche.
Der Vorsitzende des sächsischen Beamtenbundes, Gerd Drechsler, bezeichnete diesen Vorstoß des Ministerpräsidenten als „ungeheuerlich und zutiefst undemokratisch“. Dies komme einer „Erpressung der Tarifparteien“ gleich. Der innenpolitische Sprecher der FDP, Max Stadler, sagte, er halte nichts davon, öffentliche Stellungnahmen abzugeben, während das Schlichtungsverfahren noch laufe.
Der SPD-Innenpolitiker Otto Schily kritisierte: „Solche pauschalen Forderungen können wir nicht akzeptieren.“ Gerade in den unteren Einkommensbereichen sei eine Nullrunde nicht angemessen. Im übrigen halte er die Drohung des sächsischen Ministerpräsidenten für einen Luftballon.
Ein Austritt aus der Tarifgemeinschaft der Länder wäre für Sachsen rechtlich kein Problem. Dafür genügt ein entsprechender Kabinettsentschluß. Fristen müssen nicht eingehalten werden, da die Tarifverträge aufgekündigt sind. Vor zwei Jahren ist Berlin aus der Tarifgemeinschaft ausgeschlossen worden, weil das Land darauf bestanden hatte, die Ost- Bezüge denen im Westen anzugleichen.
Falls Sachsen tatsächlich aus der Tarifgemeinschaft austritt, müßte das Land mit den sächsischen Gewerkschaften einen neuen Tarifvertrag aushandeln. ÖTV-Sprecher Wunder kündigte an, daß sich die Landesregierung für diesen Fall auf einen sehr langen Arbeitskampf gefaßt machen müsse. Markus Franz
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