: Kulturschock in der Fußgängerzone
■ Der Christopher Street Day platzte mitten in das Stadtfest von Cottbus
Cottbus (taz) – Hier müssen sie alle durch. Die Hausfrauen, die am Samstag vormittag ihre Einkäufe erledigen, die älteren Ehepaare, die zum Cottbusser Altmarkt wollen, wo die Stadtkapelle zum Frühschoppen aufspielt. An den Informationsständen der Brandenburger Lesben- und Schwulengruppen führt kein Weg vorbei. Sie stehen da, wo die Fußgängerzone in den Altmarkt mündet. Der dritte Brandenburger Christopher Street Day findet mitten im Cottbusser Stadtfest statt.
„Möchten Sie Banane oder Schoko“, fragt ein junger Mann einen Passanten. Und ehe er sich versieht, wird ihm ein Kondom der jeweiligen Geschmacksrichtung in die Hand gedrückt. Lächelnd verteilt die Lesbenbeauftragte des Landes Brandenburg, Gabriele Kerntopf, weiße Lilien, die eine Banderole des „LesBiSchwulen Aktionsbündnisses Andersartig“ tragen. „O Gott!“ entfährt es einer alten Frau, die ihr Fahrrad durch die Menge schiebt, als ihr klar wird, worum es geht. Viele PassantInnen reagieren mit deutlicher Abwehr und Skepsis, andere sind interessiert bis wohlwollend.
Manchen steht das Unbehagen förmlich im Gesicht geschrieben. „Das Zusammenleben der Partner kann ich ja verstehen, aber das sexuelle ... “, sagt eine ältere Dame. Ein Zucken geht durch ihr Gesicht. „Das geht gegen die Natur.“ Das es jetzt so viele Lesben und Schwule geben soll – in Brandenburg wird ihre Zahl auf 150.000 geschätzt – kann sie noch gar nicht fassen. Zu DDR-Zeiten sprach man nicht über Homosexualität.
Ein 74jähriger Rentner hat dagegen keinerlei Berührungsängste. Der kleine, korpulente Mann nimmt die „einmalige Gelegenheit“ wahr, für die ein handgemaltes lila Plakat wirbt: „Lassen Sie sich mit einer garantiert echten Lesbe fotografieren. Nur zwei Mark.“ Lachend posiert er mit einer jungen Frau für den Schnappschuß aus der Polaroidkamera. „Ich war schon immer aufgeschlossen“, sagt der frühere Schauspieler. „In der Künstlerszene hatte ich viele schwule Kollegen.“
Mit der Straßenaktion haben die 15 Lesben- und Schwulengruppen aus der Not eine Tugend gemacht. In den Großstädten wird der Christopher Street Day, der an die Polizeirazzia in der New Yorker Christopher Street am 28. Juni 1969 erinnert und den Beginn der modernen Lesben- und Schwulenbewegung markiert, mit schrillen Umzügen gefeiert. Für eine Demonstration fehlt den BrandenburgerInnen die Masse, daß sich zur Straßenaktion 70 TeilnehmerInnen eingefunden haben, ist bereits ein Erfolg. Doch sie haben sich auch bewußt gegen die karnevaleske Selbstdarstellung entschieden. Sie versuchen, mit der Bevölkerung in Kontakt zu kommen und ihre politischen Forderungen näherzubringen. Dazu haben sie einen Stand zu einem „Standesamt“ umfunktioniert. „Eigentlich wollten wir heute das erste Brandenburger Lesbenpaar verheiraten“, spricht Moderator Thomas Herbig ins Mikrophon. Der Hochzeitsmarsch erklingt, interessiert bleiben einige PassantInnen stehen. Zwei junge Lesben mit einem Blumenstrauß aus roten Nelken küssen sich unter dem Beifall ihrer MitstreiterInnen. „Doch leider, leider“, fährt der Moderator fort, „können gleichgeschlechtliche Paare immer noch nicht heiraten.“ Lesbenbeauftragte Gabriele Kerntopf erläutert, welche Nachteile das für die Paare hat. „Wer noch Fragen hat, kann sich jetzt an uns wenden“, bietet sie den Umstehenden das Gespräch an. Ein Angebot, das die meisten CottbusserInnen noch überfordert.
Gegen Mittag wird die Stimmung ausgelassener, der schmale Durchgang vor den Ständen wird zur Tanzfläche. Als der DJ „Je ne regrette rien“ auflegt und Frauen mit Frauen und Männer mit Männern tanzen, entlockt dies einigen PassantInnen doch ein Lächeln. Ina von den Spremberger Provinzamazonen tanzt mit ihrer Freundin. Lange hat die verheiratete 30jährige ihr Lesbischsein verheimlicht. „Ich bin richtig krank geworden.“ Vor einem Jahr hatte sie ihr Coming out. „Seitdem geht es mir gut.“ Dorothee Winden
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