: Ein lautloser Kreuzzug für Moral und Ordnung
■ In der französischen Hafenstadt Toulon regiert seit einem Jahr ein Bürgermeister der rechtsextremen „Front National“. Die Ausländer werden von ganz alleine gehen
Paris (taz) – „Nique ta mère“ – Fick deine Mutter – dürfen in Toulon nicht auftreten. Die Rapper aus der Pariser Vorstadt mit Liedtexten wie „Gib mir Kugeln für die Polizei“ und „Ich pisse auf die Justiz“ wurden vom Theaterdirektor und Organisator des für den 26. Juli geplanten Sommerfestivals ausgeladen, weil „das Klima zu heiß“ für ihren Auftritt sei. Der Absage vorausgegangen war massiver Druck aus der örtlichen Politik. Der Präfekt hatte erklärt, die Gruppe greife die Würde der Frau und die der Polizei an.
Seit die rechtsextreme „Front National“ das Rathaus der Hafenstadt am Mittelmeer erobert hat, ist dort die Verteidigung der Moral angesagt. Das geschieht im Rahmen der zahlreichen „unabhängigen“ Vereine, die der Bürgermeister gründen ließ, nachdem er den alten den Finanzhahn zugedreht hatte. Mit ihrer Hilfe hat die Front National ihre Verankerung in den Stadtteilen verbessert. Der Kreuzzug für die Moral findet ebenfalls in der Zeitschrift Le Toulonnais statt, die die Front National gratis verteilt. In dem aus Gemeindemitteln finanzierten Blatt bleiben die Rechtsextremen unter sich – die Opposition boykottiert die Kolumne, die ihr zusteht.
Auf den Tag genau ein Jahr ist es her, daß die Front National die Rathäuser von drei französischen Städten erobert hat: Neben Toulon sind es Orange in der Provence und Marignane mit dem Flughafen von Marseille. Getreu der Absichtserklärung von Front-Chef Jean-Marie Le Pen zeigen die drei rechtsextremen Bürgermeister Respektabilität und Zurückhaltung. Die Bürgermeister der drei Städte verschönern das Straßenbild, stellen Blumenkästen auf, empfangen Rentnervereine und vergeben demonstrativ Sozialwohnungen an nordafrikanische Familien. „Man merkt gar nicht, daß da jetzt andere im Rathaus sitzen“, bemerkt ein Rentner, der in Toulon wohnt.
Nicht einmal den großen Ankündigungen einer „nationalen Präferenz“ in der Kommunalpolitik sind eindeutige Taten gefolgt. „Mit der Front National im Rathaus ist es gar nicht nötig, die Araber rauszuschmeißen“, erklärte ein Mitarbeiter des Touloner Bürgermeisters Jean-Marie Le Chevalier, „die werden von ganz alleine gehen.“ Statt administratriver Diskriminierung genügt die Anwesenheit der Rechtsextremen im Rathaus, um die gewöhnlichen Rassisten auf der Straße zu ermuntern. Die Geographin Andrée Baduel, die nach der Wahl eine „Hotline“ für fremdenfeindliche Vorfälle eingerichtet hat, berichtet von einer Zunahme solcher Ereignisse: Da wird eine nordafrikanische Mutter am Strand von Toulon genötigt, ihr Kind aus dem Wasser zu holen, weil es angeblich das Meer verschmutzt. Da schreien Jugendliche vom Motorrad im muslimischen Fastenmonat Ramadan Beleidigungen in die von zahlreichen Nordafrikanern bewohnte Vorstadt Guynemer. Da wird ein europäisch-afrikanisches Paar auf der Straße angezischt.
Die Sprecher der Opposition halten sich angesichts der rechtsextremen Stadtverwaltung zurück. Vor der Front National war die Mittelmeerstadt mit der überproportionalen Rentnerpräsenz und den zahlreichen Militärs, die in dem Marinehafen tätig sind, jahrzehntelang in konservativer Hand. Korruption, Spekulation und Vetternwirtschaft haben nicht nur Toulon, sondern die gesamte Region bestimmt. Der langjährige Senator des Département Var, Maurice Arreckx, siedelte 1994 von seinem Amtssitz in die Untersuchungshaft über. Sein Nachrücker mußte im Vorjahr der Front National den Platz räumen.
Noch am vergangenen Wochenende hielt sich die neogaullistische RPR, die Partei des französischen Präsidenten Chirac, vornehm zurück, als sie von Theaterdirektor Gérard Paquet zu einem „Kolloquium über den nationalen Populismus“ geladen wurde. Die anderen Parteien, von der liberal-konservativen UDF über die Sozialisten und Kommunisten, schickten Spitzenpolitiker zu der Podiumsdiskussion nach Toulon. Immerhin bestätigten sie gemeinsam, daß die Front National rechtsextrem ist und mit Hilfe des „republikanischen Konsenses“ bekämpft werden müsse. Aber wie das geschehen solle, darüber schwiegen sie sich aus. Eine gemeinsame Strategie gibt es nicht – schon gar nicht auf dem lokalem Niveau. Im Gegenteil: In Toulon arbeiteten ein neogaullistischer Präfekt (RPR) und ein rechtsextremer Bürgermeister Hand in Hand bei der Ausladung der Rapper-Gruppe „Nique ta mère“.
Die Geographin Baduel hält die „unsichtbare Klimavergiftung“ für die größte Gefahr bei einer rechtsextremen Stadtregierung. „Ihr müßt alles tun, um zu vermeiden, daß die Front National das Rathaus erhobert“, warnt sie, wann immer anderswo in Frankreich Neuwahlen stattfinden. Denn über die Lokalpolitik versuche die Front National zu beweisen, daß sie regierungsfähig sei. „Das ist so ähnlich wie die Strategie der Islamischen Heilsfront in Algerien“, sagt Andrée Baduel, „die Front National ist jetzt dabei, das lokale Terrain zu erobern, um die sozialen Bindungen zu erneuern, die die demokratischen Parteien fünfzehn Jahre lang vernachlässigt haben.“
Dorothea Hahn
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