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Zum Segeln verurteilt

■ Kids und Gewalt: Studie demoliert Zerrbilder von lieben Sozialarbeitern und bösen Bullen Von Vera Stadie

„Unwirksam und überholt“: Dieses niederschmetternde Urteil verpaßten Sozialwissenschaftler der Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP) in einer gestern vorgestellten Studie der Jugendarbeit in Hamburg. Auch wenn einzelne SozialarbeiterInnen durchaus kompetent und engagiert seien, sei deren Ziel der Integration von „gewaltbereiten“ Jugendlichen in den Arbeitsmarkt aussichtslos. Die Therapien, die „auffällig gewordenen Heranwachsenden“ verordnet würden, seien oft nicht auf deren Problem ausgerichtet, kritisiert HWP-Professor Heinrich Epskamp, sondern auf die vorhandenen Angebote.

Alle sozialpädagogischen Maßnahmen liefen darauf hinaus, Jugendliche einzubinden, so Co-Autor Eckehart Baumgartner; straffe Verhaltenstherapien, Lernkontrollen, Rollenspiele und Freizeitgestaltungsprogramme sollen den gewaltbereiten Jugendlichen ein Leben in „Normalität“ ermöglichen: “Die Maßnahmen zielen auf einen Zustand, der mit Sicherheit nicht eintreten wird“. Da es angesichts der Krise der Familie, des Arbeitsmarktes und der sozialen Bindungen kaum noch Normalität innerhalb der Gesellschaft gebe, müsse da dringend umgedacht werden.

Gute Noten bekam die Polizei. Ein „überraschend aufgeklärtes und positives Jugendbild“ stellte die Sozialökonomin Angela Franke bei den für Prävention und Jugendarbeit verantwortlichen PolizistInnen fest. Die hätten keine großen Veränderungen im Ausagieren von Gewalt und Aggressionen ausgemacht. Die gesellschaftliche Stimmung, die das Bild von prügelnden Kids auf Schulhöfen oder hochgerüsteten Jugendgangs in den Ghettos dieser Stadt präsentiert, stellten die befragten PolizistInnen als „reines Medienphänomen“ dar. Die Jugendlichen hätten sich nicht verändert, so die Experten bei der Polizei, aber in Ermangelung anderer Treffpunkte würden sie verstärkt auf Spielplätzen oder in Parks auftauchen und dort von den Erwachsenen als Bedrohung empfunden, ohne daß es dafür konkrete Anlässe gebe.

„Als VertreterInnen ihrer in der Öffentlichkeit stark angegriffenen Institution zeigten sie sich äußerst liberal und engagiert“, stellte Franke fest. Jugendorientiertes und verständnisvolles Handeln würde aber von Staat und Öffentlichkeit erschwert, die von der Polizei verlangen, sie solle Probleme wie die vermeintliche Gewaltbereitschaft von Jugendlichen beseitigen.

Verglichen mit Polizisten, die der Strafverfolgung verpflichtet sind, verfügen die von Franke interviewten Jugendrichter durch die Vorgaben des Jugendgerichtsgesetzes als „Richter und Erzieher“ über einen großen Handlungsspielraum. Daß sie diese Freiräume bei der Verurteilung von Jugendlichen nur sehr begrenzt nutzen, liege an ihren persönlichen Auffassungen: „Sie könnten, wenn sie wollten“, erklärt Franke. Doch sei der einzelne Jugendliche nach übereinstimmender Auffassung der JugendrichterInnen verantwortlich für sein Verhalten, gesellschaftliche Problemlagen werden nur oberflächlich oder gar nicht berücksichtigt.

Aber auch das Jugendgerichtsgesetz ist nicht gerade auf der Höhe der Zeit. Es geht davon aus, daß Erziehungsdefizite die Ursachen für die Kriminalität der Jugendlichen sind. Nach neueren Untersuchungen führen aber richterlich verordnete Erziehungsmaßnahmen „zu keiner nachweisbaren Beeinflussung der Betroffenen“, so Franke. Strafe und Hilfe für kriminelle Jugendliche sollten nach ihrer Auffassung streng getrennt werden. Wenn Richter sozialpädagogische Maßnahmen verordnen, fühlten sich die Jugendlichen „zum Segeln verurteilt“.

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