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Gangsterpistolen von Papa

Aus der Konfektionsabteilung des „Ghetto-Realismus“: Ice-T jetzt als HipHop-Paulus – im Samtornat mit Goldkreuz  ■ Von Dietrich Roeschmann

„Real“, sagt Ice-T, sei „the difference between the way things should be and the way things are“ – schön soll es sein, schlecht ist es, und was „real“ ist, liegt mittendrin. Das Nette an diesem Begriff von „Realness“ war bislang, daß Ice-T auf keiner seiner Platten tatsächlich den Versuch unternahm, diesem Widerspruch einen „Ghetto- Realismus“ abzuringen, der beide Pole miteinander versöhnt. Das kaputte Ghetto, aus dessen Wunden fatalistisch gestimmte Schönheiten für die Weltliteratur wuchsen, das war nicht seine Sache.

Was Ice-Ts Alben trotz reichlich gestellter Authentizitäts- und Schweinrockfallen immer wieder sympathisch machte, war vielmehr der distanziert wissende Blick, mit dem er sich bei einem auf Popformat designten, historisierten Ghetto-Lifestyle bediente: der Pimp, der Hustler, der Sexy Motherfucker. Figuren, die auf ihren exzentrischen Wegen an den Rändern der Legalität immer die Kragenecken oben behielten und dabei aussahen wie einsame Dissidenten.

Das ist nun lange her. Ice-Ts letzte Platte, „Home Invasion“, erschien vor mehr als drei Jahren und ist fast vergessen. Dr. Dres Album „The Chronic“, das zur gleichen Stunde herauskam, hat inzwischen eine unabsehbare Vervielfältigung der Gangsta-Topoi nach sich gezogen. Die Klasse von Long Beach ersetzte den hinterhältigen Humor durch einen ebenso geschmeidigen wie grausamen Hedonismus und definierte nebenbei gleich noch die Fallhöhe von Fiction und Non-Fiction neu. „Realness“ war fortan kein labiler Zustand mehr, der irgendwann Thema wurde, sondern war zuerst mal da, wo die Beine stehen. Breit und borniert, mitten im Leben. Ice-T, der Grand Seigneur des Gangsta-Rap, diktierte währenddessen seine Memoiren („Who Gives A Fuck?“), spielte in diversen Actionfilmen den Bösewicht und arbeitete ansonsten eher verschwiegen vor sich hin.

Mit seinem neuen Album „VI – Return Of The Real“ will er sich nun an mehreren Fronten gleichzeitig wieder in Erinnerung bringen. Bei den jungen Kids aus der Hood, den Kumpels vom Million Men March und natürlich auch bei den echten Homies. Vati ist zurück, alles wird gut. Vom Cover blickt er uns so als Reverend Sweetsugardaddymisterlong entgegen, mit Samtornat und Goldkreuz, slick, weise und streng. Die „Realness“, die er hier aus jeder Rille schwitzt, riecht allerdings mindestens ebenso streng.

Anstatt sich für die sympathischen Schleichwege zu entscheiden, auf denen man bislang zwar selten irgendwo ankam, dafür unterwegs aber mit knarrender Stimme einen Haufen überdrehter Geschichten erzählt bekam, nimmt Ice-T inzwischen nur noch die ganz großen Ausfahrten des HipHop mit. Ausfahrten wie „South Central“, „Survival“ oder „Verschwörungstheorie“.

Am besten geraten ihm dabei Bio-Pics wie „I Must Stand“, eine kraß überzeichnete Geschichte vom kleinen Ice, der sich nach dem Tod seiner Eltern im Kreis jener Hustler wiederfindet, die schon früher immer so cool schwiegen und ihre großen Cadillacs an den Straßenrändern der Hood abstellten. Häufiger bleibt es jedoch bei den genreüblichen Frauenbildern, die Ice-T hier auf feuchten Soulschwämmen durch die Kulisse schiebt. „How does it feel to make love with a G?“ fragt er an einer Stelle, und noch während er die „Bitch“ zum Teufel schickt, krachen im Hintergrund bereits die Schüsse, machen die Sirenen schon einmal Stimmung für eine weitere Ghetto- oder Gangsterpistole aus dem dumpfen Archiv des Kriegsveteranen: Schrecklich war's, aber es hatte auch sein Gutes. Sowas schweißt zusammen, Leute.

Das alles konnte noch durchgehen, nach fünf spannenden Platten, deren Witz sich an den Sturheiten des geläufigen Gangstertums abarbeitete. Auf Ice-Ts neuem Album ist das nun aber einer „real“ Humorlosigkeit gewichen, die – wenn es darum geht, seine schwarzen Brüder vor Blutsaugern aller Art zu warnen – schließlich ins antisemitische Ressentiment umkippt. In der Plattenindustrie sitzen so „some jewish motherfucker / who don't know shit“, die natürlich nur eines im Sinn haben können: „Every dollar you make / they make ten“ („Rap Games Hijacked“).

„Return To The Real“ ist die Ankunft in der Konfektionsabteilung „Ghetto-Realismus“, in der aus der Nachricht vom Zustand des Ghettos keine Handlung mehr folgt, sondern bestenfalls die Intensität des ästhetischen Schocks („Dear Homies“). Das ist um so verwunderlicher, als er mit einem Track (und Video) wie „That's How I'm Livin'“ diese Ästhetisierung des Ghettos bereits radikal unterlaufen und damit gezeigt hatte, daß die Glorifizierung des Ghettos letztlich auf die Glorifizierung des Systems hinausläuft, das das Viertel zum Ghetto macht. Ärgerlich.

Ice-T: „VI – Return Of The Real“ (Virgin)

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