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Abenteuerliche Flucht vor Marokkos König

■ Maria-Inan Oufkir, Tochter des nach einem Attentatsversuch auf Hassan II. „geselbstmordeten“ Generals Oufkir, ist mit Sohn und Tante ins Exil entkommen

Paris (taz) – Ihre ersten Schritte in der Freiheit tat Maria-Inan Oufkir am Dienstag auf dem Pariser Flughafen Orly. 24 Jahre nachdem sie in die Spezialgefängnisse von Hassan II. geraten war, hat die heute 34jährige Marokkanerin die Flucht geschafft. Im Boot, zu Fuß, per Hubschrauber und im Zug entkam sie der Rachsucht des marokkanischen Königs. Ihren fünfjährigen Sohn und ihre Tante Achoura Chenna, die das Gefängnis-Schicksal der Familie des 1972 „geselbstmordeten“ Generals Oufkir geteilt hat, brachte sie mit. Die fünf übrigen Kinder Oufkirs und seine Witwe blieben in Marokko zurück.

Die abenteuerliche Flucht war von französischen Filmtechnikern organisiert worden, die Maria- Inan Oufkir vor mehreren Jahren in Marokko kennengelernt hatte. Für den Anlaß hatten die Franzosen ein Drehbuch geschrieben und von den marokkanischen Behörden absegnen lassen, das unter anderem Szenen auf hoher See vorsah. In der vergangenen Woche holte der französische Filmtechniker Pierre Cadeac die 34jährige Marokkanerin für den fiktiven Dreh zu Hause ab. Ein zweiter Wagen des Filmteams lockte die marokkanischen Geheimpolizisten, die routinemäßig sofort die Beschattung aufnahmen, auf eine falsche Fährte. Unterdessen bestiegen die drei Flüchtlinge und ihr französischer Helfer ein kleines Boot mit Außenbordmotor, um die Meerenge von Gibraltar zu überqueren.

Zwar gelang es ihnen, eine marokkanische Küstenpatrouille von der Rechtmäßigkeit ihrer Bootspartie zu überzeugen, doch dann verhinderte ein Sturm ihre Weiterreise und zwang sie, in der spanischen Exklave Ceuta im Norden Marokkos an Land zu gehen. Von dort aus brachten spanische Militärs die Flüchtigen per Hubschrauber nach Sevilla. Im Schatten des Florentiner Gipfels organisierte die Madrider Regierung die Weiterreise von Maria-Inan Oufkir nach Paris, wo sie einen Asylantrag gestellt hat.

Maria-Inan Oufkir sowie ihre fünf Geschwister, ihre Mutter und ihre Tante haben jahrzehntelang für einen mißlungenen Putschversuch gegen Hassan II. gebüßt. Am Tag nach einem Attentat auf die königliche Boeing war der General am 17. August 1972 mit drei Kugeln im Rücken und einer im Nacken tot im Königspalast gefunden worden. „Selbstmord wegen Verrats“ lautete die Erklärung Hassan II. für den Tod seines bis dato engsten Mitarbeiters, der zuvor Innen- und Verteidigungsminister gewesen war.

Die Familie von General Oufkir, die bis 1972 im marokkanischen Königspalast ein- und ausgegangen war, verschwand nach dem „Selbstmord“ für 19 Jahre in Verliesen, die Hassan II. eigens für sie bauen ließ. Die Witwe, ihre Cousine und die sechs Kinder, die damals zwischen 3 und 22 Jahren alt waren, lebten in winzigen Zellen – ohne den geringsten Kontakt zur Außenwelt. Durch die Leitungsrohre verständigten sich die Familienmitglieder; die älteren erklärten den jüngeren, wie die Welt draußen ist. Ein Urteil gegen die Oufkirs hat es nie gegeben. Eine Aufklärung über die Todesumstände des Generals ebensowenig.

Erst 1991 durften die Oufkirs aus dem Gefängnis ausziehen. Pässe bekamen sie nicht, die Ausreise aus Marokko war ihnen verboten. Alle Fluchtversuche, die einzelne Familienmitglieder seither machten, scheiterten. Immer wieder versuchten ausländische Regierungen, den Oufkirs zu helfen – ohne Erfolg. Noch vor wenigen Wochen erklärte der marokkanische König, der sich gern als Vertreter der Moderne in der islamischen Welt darstellt, in einem Interview mit der französischen Tageszeitung Le Figaro, die Familie Oufkir sei sein „geheimer Garten“, in den er keine Einmischung zulassen werde.

Frankreichs Präsident Jacques Chirac, der Hassan II. bei dessen Staatsbesuch im Mai eine besonders freundliche Behandlung zukommen ließ, äußerte sich nicht zu der Flucht. Immerhin durfte Maria-Inan Oufkir am Dienstag den Flughafen Orly ohne Kontrolle passieren. Und ihr französischer Anwalt Georges Kiejman äußerte sich zuversichtlich über ihre Aussichten auf politisches Asyl. Das Schicksal der in Marokko zurückgebliebenen Oufkirs freilich liegt weiterhin in den Händen von Hassan II. Dorothea Hahn

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