Ifor und Polizei erklären sich für nicht zuständig

■ Warum Radovan Karadžić und Ratko Mladić bisher noch nicht verhaftet wurden

Die Wette galt. Ein Sprecher der internationalen Friedenstruppen Ifor hatte in Sarajevo erklärt, der Aufenthaltsort des mutmaßlichen serbischen Kriegsverbrechers Radovan Karadžić sei der Organisation nicht bekannt – so könne er auch nicht verhaftet werden.

20 Minuten Autofahrt benötigte der Korrespondent, um von Sarajevo aus den Regierungssitz der serbischen Republik in Bosnien, Pale, zu erreichen. Ein Passant und ein Tankwart gaben die entscheidenden Hinweise. Karadžić sei auf einem Treffen „unserer Regierung“ in einem der Fabrikgebäude in der Nähe der Stadt anzutreffen. Und der Portier des Fabrikgeländes, das heute für Verwaltungszwecke und Treffen dieser Art genutzt wird, erklärte mit entwaffnender Offenheit, das Parken in der Einfahrt sei nicht gestattet. „Jeden Moment kann der Präsident herauskommen.“ Genau 31 Minuten hatte es gedauert, den Aufenthaltsort von Radovan Karadžić festzustellen. Auch heute, drei Monate nach diesem Ereignis, hat sich das Verhalten der internationalen Gemeinschaft vor Ort im Prinzip nicht verändert. Zwar fordern viele Politiker immer wieder lautstark die Verhaftung der serbischen Extremisten Karadžić und seines Generals Ratko Mladić. In der Praxis jedoch tut die internationale Gemeinschaft nichts, um ihren Worten Taten folgen zu lassen. Lediglich ein Plakat wurde gedruckt, auf dem die Konterfeis eines Teils der in Den Haag gesuchten Kriegsverbrecher abgedruckt sind. Tatsächlich möchte niemand das Risiko eingehen, unkalkulierbare Gegenaktionen zu provozieren und die internationalen Mitarbeiter zu gefährden.

Es sei nicht die Aufgabe der Ifor, die Kriegsverbrecher dingfest zu machen, beteuern Ifor-Sprecher immer wieder. Dies sei Aufgabe der internationalen Polizeitruppen. Doch die Polizisten sehen sich damit überfordert und halten zudem daran fest, lediglich zur Unterstützung der bosnischen Polizei im Land zu sein. Ein Mitglied der internationalen Polizeitruppe in Banja Luka erklärte kürzlich: „Wenn ich einen der Kriegsverbrecher sehe, schaue ich lieber weg. Was soll ich auch sonst tun, unbewaffnet und ohne Rückhalt der internationalen Truppen?“

Doch ganz ohne Folgen ist die internationale Debatte nicht. Die USA, die Europäer und der UN- Beauftragte Carl Bildt üben starken diplomatischen Druck auf den serbischen Präsidenten Slobodan Milosević aus. Die serbische Polizei oder die Polizei der bosnischen Serben sollten nach dieser Strategie Karadžić und Mladić selbst ausschalten. Milosević habe noch im Frühjahr vorgehabt, die serbischen Extremisten in Pale durch die Wahlen in Bosnien-Herzegowina zu kippen, heißt es aus diplomatischen Kreisen in Sarajevo. Milosević habe wohl gehofft, seine Sozialistische Partei könne der Karadžić-Partei SDS bei den bosnischen Serben das Wasser abgraben – was aber angesichts der Loyalität eines großen Teils der serbisch- bosnischen Führungsequipe und der serbisch-bosnischen Armee zu Karadžić und Mladić nicht gelungen ist. Aber Milosević hat nicht nur aus innenpolitischen Gründen kein Interesse daran, Karadžić und Mladić nach Den Haag auszuliefern. Packten die beiden nämlich dort aus, wäre wohl auch seine Position gefährdet. Auch ihm drohte angesichts seiner dann nachgewiesenen Verwicklungen in die Verbrechen die Anklage. Deshalb wird in Bosnien darüber spekuliert, ob Karadžić und Mladić nicht durch einen „Autounfall“ oder eine „plötzliche Krankheit“ aus dem Verkehr gezogen würden. Erich Rathfelder, Split