Feuergeister und Klangfarbenzauber

■ Auf Abenteuerreise durch die Musikgeschichte: „Piano Adventures“ an sechs Abenden bei „Dacapo“ / Ein Gespräch mit dem Pianisten Herbert Henck

Klaviermusik des 20. Jahrhunderts an fünf Abenden: Insiderkonzerte für KennerInnen? Nein: Abenteuer werden versprochen – „Piano Adventures“ nennt sich eine neue Konzertreihe, die am Sonntag im Überseemuseum beginnt. Durch das Abenteuer wird Herbert Henck das Publikum führen, ein Pianist, der sich in der Klaviermusik dieses Jahrhunderts auskennt wie kein zweiter. Und einer, der wie kein zweiter Seltenheiten des Repertoires regelrecht ausgräbt. Er hat die Reihe für den Konzertveranstalter „Dacapo“ entworfen. Am sechsten Abend wagt er sogar einen Ausflug in ein historisches Abenteuer: die Aufführung der unvollendeten „Kunst der Fuge“ von Johann Sebastian Bach.

taz: Herr Henck, wenn man davon ausgeht, daß sich entscheidende musikgeschichtliche Entwicklungen immer auch auf dem Klavier abgespielt haben, sind fünf Abende für „Klaviermusik des 20. Jahrhunderts“ wenig. Nach welchen Kriterien sind Sie vorgegangen?

Herbert Henck: Nach ganz verschiedenen. Natürlich an erster Stelle ästhetischen, dann biographischen. Dann aber sollte es keine Wiederholungen in Bremen geben. So sind also drei gemischte Abende entstanden und drei monothematische, d.h. mit Werken von nur einem Komponisten. Da habe ich Hans Otte zu seinem siebzigsten Geburtstag hereingenommen, er schreibt als Pianist wirklich sensible meditative Klaviermusik.

Sie spielen einen russischen Abend. Kann man auch in der russischen Klaviermusik typische Entwicklungsphasen dieses Jahrhunderts ablesen, wenn man berücksichtigt, daß die kompositorischen Bedingungen durch politischen Verhältnisse und die Zensur so anders waren?

Ja, natürlich, aber entsprechend ist diese Musik eben auch anders, keineswegs weniger aufregend. Alexandr Mosolow, Arthur Lourié, von denen ich etwas spielen werde, das waren richtige Feuergeister, die auf sehr hohem Niveau komponiert haben. Das ist in den zwanziger Jahren die Musik des Futurismus, das ist die Welt der Arbeit und der Maschinen. Und dann gibt es eine zweite Schiene, die wir hier nicht kennen: Das ist die Bedeutung der Folklore, die überall durchkommt.

Und wie sieht es in Amerika aus? Sie spielen die berühmte „Concord Sonata“ von Charles Ives neben der „Music for piano“ von John Cage.

Auch in Amerika war das Klavier das Pionierinstrument. Der ganz große, lange verkannte Meister war Charles Ives, der mit utopischen Visionen Popularmusik und Jazzelemente verarbeitet hat und der weit in den Begriff „Raummusik“ vorstieß.

Seine ungemein komplexe „Concord Sonata“ ist auch technisch extrem schwer?

Jein. Auf der einen Seite hat er, weil er nicht Klavier spielen konnte, mit einer Rücksichtslosigkeit ohnegleichen geschrieben – das Stück dauert auch fast eine Stunde –, auf der anderen Seite sind Stücke von Jannis Xenakis zum Beispiel viel schwerer.

Man hört sehr viel von dem Franzosen Charles Koechlin, dem Sie einen ganzen Abend widmen. Obschon der Komponist Heinz Holliger von ihm sagte, „auf diese Werke zu verzichten, können wir uns kaum leisten“, kennt ihn fast niemand. Was ist das für ein Komponist, und wo liegen denn die Schwierigkeiten, ihn zu rezipieren?

Sein Hauptschaffen liegt zwischen den beiden Weltkriegen. Er war ein Klangfarbenzauberer ohnegleichen, ein Meister der Instrumentation, aber ganz anders als Debussy und Ravel. Koechlin schreibt großgriffige, stehende Klänge mit vielen Obertönen. Seine Musik ist besonders für Orchester unerhört schwer zu spielen, vielleicht liegt es daran.

Am ersten Abend wird es eine deutsche Erstaufführung geben: die 18 Fragmente für Klavier von Arnold Schönberg. Nun sind ja die Klavierkompositionen von Schönberg von außerordentlicher Wichtigkeit für die stilistischen Stufen seit der Jahrhundertwende: Auflösung der Tonalität, freie Tonalität, Reihentechnik. Da wundert man sich schon über eine „deutsche Erstaufführung“. Was hat es mit diesen Fragmenten auf sich?

Es sind ganz frühe Stücke von 1894 und relativ späte von 1934, sie sind erst in den siebziger Jahren veröffentlicht worden. Vielleicht war es eine Hemmung, unfertige Stücke aufzuführen. Schönberg selbst hatte ja auch unglaubliche Mühe, angefangene Stücke zu Ende zu schreiben.

Gibt es in diesen Fragmenten Aspekte, die wir von Schönberg noch nicht kennen oder stilistische Experimente, denen er nicht weiter nachgegangen ist?

Nein, die Stücke komprimieren noch einmal die bekannten Phasen. Aber ein Marsch taucht da auf, eine Fantasie, beides ganz untypisch für Schönberg. Er hat sich ja, was ganz peinlich ist, über die Rhythmen Strawinskys lustig gemacht.

Fragen: Ute Schalz-Laurenze

„Piano Adventures“ im Übersee-Museum: Am Sonntagabend, 18 Uhr, geht's los mit Werken von Arnold Schönberg, Matthias Hauer und Jean Barraqué. Begleitend gibt „Dacapo“ ein informatives Büchlein über das Projekt heraus.