: Erbakan türkischer Ministerpräsident?
In der Türkei scheint eine Koalition zwischen Tansu Çillers Partei des rechten Weges und der islamistischen Wohlfahrtspartei so gut wie perfekt ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren
Türkischen Medien zufolge ist eine Koalition zwischen der islamistischen Wohlfahrtspartei und der rechtsliberalen Partei des rechten Weges unter Dach und Fach. Der Islamist Necmettin Erbakan werde für eine zweijährige Periode das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen, gefolgt von einer zweijährigen Amtsperiode Tansu Çillers von der Partei des rechten Weges, heißt es. Selbst über die Verteilung der Ministerien hätten sich die Parteiführer geeinigt und bald werde das Koalitionsprotokoll unterzeichnet und die Kabinettsliste dem Staatspräsidenten vorgelegt.
Ob es tatsächlich zu einer Koalition kommt, war zunächst allerdings noch ungewiß. Schon in der Vergangenheit hatten türkische Medien über die unmittelbar bevorstehende Unterzeichnung eines Koalitionsprotokolls berichtet. Im letzten Augenblick waren die Koalitionsgespräche dann gescheitert.
Wenn Tansu Çiller tatsächlich mit Necmettin Erbakan koaliert, sieht sie sich extremem Druck seitens der liberalen Öffentlichkeit ausgesetzt.
„Stoße das Land nicht in die Finsternis“, titelte das Massenblatt Sabah (Der Morgen). Die Aufforderung war ein Zitat Çillers – seinerzeit gerichtet an den Vorsitzenden der Mutterlandspartei, Mesut Yilmaz, als dieser vor vier Monaten Koalitionsgespräche mit den Islamisten geführt hatte. Die Presse zitiert umfangreich die früheren boshaften Äußerungen Çillers gegen Erbakan und die Wohlfahrtspartei. „Es ist ein Verrat an der Türkei, mit Erbakan zu koalieren“ hatte Çiller noch vor wenigen Monaten verkündet. Die Wohlfahrtspartei gleiche der illegalen PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) und sei „separatistisch“.
Die Annäherung Çillers an die Islamisten ist offensichtlich Folge der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, die wegen Korruption gegen die Exministerpräsidentin ermitteln. Ihr Kalkül: Sitzt sie mit den Islamisten in einer Regierungskoalition, entgeht sie der Anklage. Tatsächlich gibt sich die Wohlfahrtspartei galant, seit es Hoffnung auf eine Koalition mit Çiller gibt. Vor zehn Tagen wurde die Einrichtung eines weiteren Untersuchungsausschusses gegen Çiller mit den Stimmen der Wohlfahrtspartei abgelehnt.
Doch selbst wenn Çiller sich auf eine Koalition mit Erbakan einigt, ist ungewiß, ob das Parlament der Regierung das Vertrauen ausspricht. Arithmetisch reichen die Stimmen beider Parteien für die absolute Mehrheit. Wie viele Abgeordnete der Partei des rechten Weges aber tatsächlich bereit sind, einer solchen Regierung das Vertrauen auszusprechen, ist ungewiß. Mehrere Abgeordnete haben bereits erklärt, mit Nein stimmen zu wollen.
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