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Entschädigung für Zwangsarbeiter

■ Bundesverfassungsgericht läßt individuelle Klagen von ehemaligen jüdischen Zwangsarbeitern gegen die BRD zu

Karlsruhe (taz) – Ausländische und deutsche JüdInnen, die während des Zweiten Weltkriegs zu Arbeitseinsätzen nach Deutschland verschleppt wurden, haben immer noch keinen Anspruch auf Entschädigung. Das Bundesverfassungsgericht wies in einer gestern veröffentlichten Entscheidung zwei Vorlagen des Landgerichts Bonn als unzulässig zurück. Der Zweite Senat des Gerichts entschied einstimmig, es gebe keine allgemeine Regel des Völkerrechts, die individuelle Ansprüche der Betroffenen gegen die Bundesrepublik ausschließe. Ob diese Forderungen allerdings begründet seien, müßten die Fachgerichte selbst prüfen.

In einem Musterprozeß vor dem Bonner Landgericht verlangen 22 ehemalige ZwangsarbeiterInnen (21 Frauen und ein Mann) Entschädigungszahlungen zwischen 8.700 und 22.000 Mark. Die KlägerInnen waren zur Zeit des Zweiten Weltkriegs polnische, ungarische und deutsche Staatsangehörige. Als Juden waren sie in das Konzentrationslager Auschwitz verschleppt worden. Dort wurden sie zwischen September 1943 und Januar 1945 auf Anordnung der SS an die Firma Weichsel Metall Union für Arbeiten in einem Munitionswerk abgestellt. Das Unternehmen zahlte der SS für alle ZwangsarbeiterInnen ein Entgelt, die ArbeitssklavInnen sahen hiervon allerdings keinen Pfennig.

Auch nach dem Krieg blieben sie von deutschen Entschädigungsleistungen ausgeschlossen, denn Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz von 1953 blieben AusländerInnen vorenthalten. Später wurden dann zwar von den Regierungen Adenauer und Erhard entsprechende Abkommen mit elf europäischen Staaten geschlossen. Osteuropäische Staaten, aus denen das Gros der ZwangsarbeiterInnen stammte, wurden dabei nicht berücksichtigt.

Erst nach der Wiedervereinigung und dem Fall des Eisernen Vorhangs sahen die Opfer eine Chance auf Anerkennung des erlittenen Unrechts und starteten zwei Musterprozesse vor den Landgerichten in Bremen und Bonn. Beide Gerichte bejahten zivilrechtliche Ansprüche der ZwangsarbeiterInnen gegen die Bundesrepublik. Sie wollten allerdings vom Bundesverfassungsgericht wissen, ob solche individuellen Ansprüche nicht durch Völkerrecht ausgeschlossen sind. Der vorliegende Karlsruher Beschluß beschäftigt sich nur mit dem Bonner Verfahren.

Normalerweise geht das Völkerrecht davon aus, daß Einzelpersonen ihre Ansprüche auf die jeweilige Regierung übertragen, damit diese sie zwischenstaatlich durchsetzt, etwa im Wege von Reparationsleistungen. Solche Verträge bestehen jedoch bis heute noch nicht. Die Karlsruher Richter haben nun grünes Licht dafür gegeben, daß die KlägerInnen auch individuell gegen die Bundesrepublik vorgehen können.

Dennoch ließ das Karlsruher Bundesverfassungsgericht völlig offen, wie die Verfahren letztlich ausgehen werden. Das Landgericht müsse nämlich prüfen, ob auf die Ansprüche der ZwangsarbeiterInnen nicht verzichtet wurde – und zwar stellvertretend durch die Regierungen ihrer Länder. Auf einen solchen Verzicht Polens, Ungarns und Rumäniens beruft sich die Bundesregierung. Christian Rath

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