piwik no script img

Ein Sommertraum

■ In den Ferien spielen Kinder ein Seeungeheuer, das Eltern ein Ultimatum stellt oder bauen „Oasen der Sinne“

Wir haben gebüffelt ein ganzes Jahr lang,

bald fangen die großen Ferien an.

Am Schuljahresende gibts Zeugnisse dann,

obwohl man sie gar nicht gebrauchen kann!

In Mathe 'ne fünf, in Sport 'ne drei,

in Deutsch 'ne vier, in Kunst 'ne zwei.

Die Lehrer und Schüler, die schreien nur rum,

der Lehrer sagt dauernd: 'Ihr seid so dumm!'

Da kommt die Lehrerin herein:

'Hört doch endlich auf zu schrei'n!'

Die Schule ist fast ein Irrenhaus,

man kommt vor lauter Noten nicht mehr raus,

Buchstaben und Zahlen schweben herum,

im Grunde genommen bleibt man sowieso dumm.

Nele, Jessica, Anna und Annika schreien und singen ihren Schulfrust im Hip Hop raus. Die Grundschülerinnen machen mit beim „Sommer-Traum zum Anfassen und Mitgestalten“, wie die OrganisatorInnen das Kinder-Ferienprogramm am Weidedamm in Findorff genannt haben. „Wir wollten mal Leben in die Gebäude bringen“, meint Karin Oeljeklaus, Initiatorin des Ganzen.

Außerhalb der Ferien werden am „Wissenschaftlichen Institut für Schulpraxis“ LehrerInnen ausgebildet, die in Bremen ihr Referendariat machen. Thomas Mävers ist einer von ihnen. Ihm ist der Unterricht an den Schulen oft zu lebensfern, daher – und weil er ohnehin noch keine Stelle als Lehrer hat – sammelt er Erfahrungen im außerschulischen Bereich. Er begleitet die Hip-Hop- und die Basketball- Gruppe. Begleiten meint dabei: im Hintergrund bleiben, Freiräume lassen und Unterstützung lediglich anbieten.

Die Kinder nutzen diese Möglichkeiten. Sie suchen die Musik selbst aus, machen eigene Texte, und wenn die Größeren mehr Lust auf Techno als auf Hip Hop haben, ist auch das okay. Daß die Kinder freie Räume dringend brauchen, zeigt sich in der Theatergruppe bei einer dargestellten Streitszene zwischen Eltern genauso wie in den Hip Hop-Texten:

Wir kommen aus Findorf,

wir wollen niemals weg,

keiner kann uns zwingen hier wegzugeh'n!

Es ist alles schwer, ohne Gewähr,

das ist nicht fair, ich kann nicht mehr,

ich will nicht mehr!

Jeden Tag werde ich geschlagen,

ohne meine Meinung zu sagen.

Ich habe gesehen: Ein Mann wurde beraubt.

Ich habe gesagt: „Ich war es gar nicht!“

Er sagte zu mir: „Du kommst jetzt mit,

zur Polizei, dann regeln wir die Schweinerei!

Wie geht man damit um, wenn man über Hip Hop-Texte mit solchen Erfahrungen und Lebensrealitäten von Grundschülern konfrontiert wird? Thomas betont, daß die Ferienfreizeiten nur Ventil sein können, um Ärger und Streß aus Schule und Familie abzulassen. Oft sei während der Schulzeit kein Raum dazu da. Sowas wie Hip Hop oder Graffitti sei wohl eher selten im Lehrplan von 50jährigen. Und da es in Bremen seit 1982 einen Einstellungsstop gebe, fehle es an jungen LehrerInnen; der Bezug zur Jugendkultur sei kaum vorhanden in den Kollegien.

Philip, der die Graffitti-Gruppe beim „Sommer-Traum“ leitet, ist selbst erst 15. Er sprayt schon seit drei Jahren und kann gut verstehen, daß die Kinder keine Vorgaben wünschen, sondern lediglich Tips zur Technik und zu Farbkombinationen. Die Kinder haben sich ihre Motive selbst ausgedacht, vorgezeichnet und sprayen sie draußen im Garten zunächst auf kleinere und später auf große Leinwände.

Ähnlich das Konzept beim Theaterspielen. Aus Verkleiden und Improvisation werden Ideen entwickelt. Nach einigen Szenen wird ein Rahmenthema gefunden: Die Eltern haben keine Zeit für Kinder. Es entsteht eine Geschichte. Eltern arbeiten fast pausenlos, streiten sich und speisen ihre Kleinen mit Computerspielzeug ab. Ihre Kinder gehen los, kommen an einen See und werden von einem Ungeheuer verschluckt. Das stellt den Eltern ein Ultimatum: Die Kinder werden nicht eher freigelassen, als bis die Eltern sich mehr Zeit für sie nehmen. Ob die Eltern darauf eingegangen sind, stand bei Redaktionsschluß noch nicht fest.

Auch in der nächsten Gruppe spielt ein Ungeheuer die Hauptrolle. Ein raumfüllendes Etwas aus Draht, an einigen Stellen schon mit kleistergetränkten Papieren umwickelt, wird bearbeitet von drei Kindern. Andere malen noch an ihren Modellen. Imka erläutert die Baustelle. Das Ungeheuer ist ein Dino. Es hat keine Beine, damit es nicht umfällt. Es wird mit gekleisterten Papieren verstärkt, später dann angemalt. Überall liegen Papier, Maschendraht, Farbtöpfe rum. Überhaupt das Material: Musik-Cassetten, Spray-Dosen, Farbe, Handwerkszeug, zusammen ist das ja nicht ganz billig.

Obwohl auch viel ehrenamtliche Arbeit geleistet wurde, hätte das Ferienprogramm nicht stattfinden können, wenn den OrganisatorInnen nicht durch eine Spende von der Sparkasse geholfen worden wäre. Vom Senat war jegliche finanzielle Beteiligung abgelehnt worden. Ob es eine Fortsetzung des „Sommertraums“ geben wird, steht daher noch in den Sternen.

„Der Markt der bunten Träume und Unmöglichkeiten“ hat diese existentiellen Probleme nicht. Für die Sommer-Aktionstage im Bürgerhaus Weserterrassen gab es einen Zuschuß aus dem Kulturetat. Auch hier wird viel gebastelt und gepinselt: Guckkästen, Köpfe aus Pappmach und Gips-Pralinen sind schon fertig, an einer „Oase der Sinne“ wird emsig gearbeitet. Ein Schaukelstuhl wird zu einem Klingstuhl umgebaut. Gefüllte Schachteln, rasselnde Kronkorken und kleine Glöckchen lassen das Schaukeln zu einem Klangerlebnis werden. In der anderen Ecke des Raumes steht ein selbstgebasteltes Schlagzeug. Daneben ist eine Entspannungsecke mit Matrazen, Tüchern und Vorhängen eingerichtet – Ohrstöpsel sind noch nicht gebastelt.

Die Guckkästen im Zimmer nebenan stapeln sich bereits. Malte hat schon fünf gebaut. Durch Gucklöcher in Schuhschachteln sind kleine Landschaften zu sehen, in anderen ganze Zoos, Dinosaurier und eine Libelle im Spinnennetz. Spiegel an der Rückwand und Löcher im Deckel sorgen für die richtigen Lichtverhältnisse. Im selben Raum werden die Gipsfiguren gemalt, die in der Werkstatt gegossen worden sind. Im Zimmer nebenan basteln die Kinder aus Pappmaché riesige Köpfe von Dinosauriern, Katzen und Tigern. Ihr Problem ist, daß die Köpfe sehr groß werden – vielleicht zu groß zum Transport nach Hause.

Das übergreifende Thema aller Gruppen ist der Markt. Zum Abschluß der Ferienaktion wird er auf den Weserwiesen stattfinden. Für das Publikum werden die Ergebnisse dann ausgestellt und präsentiert. Höhepunkte werden dabei sicher die „Lebenden Statuen und Bilder“ sein. Ein riesiger selbstgebastelter Hut läuft durch den Saal. Paula versinkt völlig darin. Andere Kinder üben Handstand, tanzen und bauen Menschen-Pyramiden.

Hille Wigand, die diese Gruppe leitet und die ganze Jugendfreizeit mitorganisiert hat, ist sich mit ihren KollegInnen aus Findorff einig, daß die Freiräume und eigenen Gestaltungsmöglichkeiten für die Kinder sehr wichtig seien.

Auch hier: Nicht zu enge Vorschriften, kein lehrerhaftes Gebahren, damit die Kinder nicht an Schule denken müssen, sondern ohne Leistungsdruck Spaß am Spielen, Basteln, Bauen, Tanzen oder Musikmachen bekommen. Die Begeisterung, mit der die Kids dabei sind, gibt ihnen Recht.

Stephan Günther

Wir haben gebüffelt ein ganzes Jahr lang,

bald fangen die großen Ferien an.

Am Schuljahresende gibts Zeugnisse dann,

obwohl man sie gar nicht gebrauchen kann!

In Mathe 'ne fünf,

in Sport 'ne drei,

in Deutsch 'ne vier,

in Kunst 'ne zwei.

Die Lehrer und Schüler, die schreien nur rum,

der Lehrer sagt dauernd: 'Ihr seid so dumm!'

Da kommt die Lehrerin herein:

'Hört doch endlich auf zu schrei'n!'

Die Schule ist fast ein Irrenhaus,

man kommt vor lauter Noten nicht mehr raus,

Buchstaben und Zahlen schweben herum,

im Grunde genommen bleibt man sowieso dumm.

Nele, Jessica, Anna und Annika schreien und singen ihren Schulfrust im Hip Hop raus. Die Grundschülerinnen machen mit beim „Sommer-Traum zum Anfassen und Mitgestalten“, wie die OrganisatorInnen das Kinder-Ferienprogramm am Weidedamm in Findorff genannt haben. „Wir wollten mal Leben in die Gebäude bringen“, meint Karin Oeljeklaus, Initiatorin des Ganzen. Außerhalb der Ferien werden hier am „Wissenschaftlichen Institut für Schulpraxis“ LehrerInnen ausgebildet, die in Bremen ihr Referendariat machen. Thomas Mävers ist einer von ihnen. Ihm ist der Unterricht an den Schulen oft zu lebensfern, daher – und weil er ohnehin noch keine Stelle als Lehrer hat – sammelt er Erfahrungen im außerschulischen Bereich. Er begleitet die Hip-Hop- und die Basketball- Gruppe. Begleiten meint dabei, im Hintergrund bleiben, Freiräume lassen und Unterstützung lediglich anbieten. Die Kinder nutzen diese Möglichkeiten. Sie suchen die Musik selbst aus, machen eigene Texte, und als die Größeren mehr Lust auf Techno als auf Hip Hop haben, ist auch das okay. Daß die Kinder freie Räume dringend brauchen, zeigt sich in der Theatergruppe bei einer dargestellten Streitszene zwischen Eltern genauso wie in den Hip Hop-Texten.

Wir kommen aus Findorf,

wir wollen niemals weg,

keiner kann uns zwingen

hier wegzugeh'n!

Es ist alles schwer,

ohne Gewähr,

das ist nicht fair,

ich kann nicht mehr,

ich will nicht mehr!

Jeden Tag werde ich geschlagen,

ohne meine Meinung zu sagen.

Ich habe gesehen:

Ein Mann wurde beraubt.

Ich habe gesagt:

„Ich war es gar nicht!“

Er sagte zu mir:

„Du kommst jetzt mit zur Polizei,

dann regeln wir die Schweinerei!“

Wie geht man damit um, wenn man über Hip Hop-Texte mit solchen Erfahrungen und Lebensrealitäten von Grundschülern konfrontiert wird? Thomas betont, daß die Ferienfreizeiten nur Ventil sein können, um Ärger und Streß aus Schule und Familie abzulassen. Oft sei während der Schulzeit kein Raum dazu da. Sowas wie Hip Hop oder Graffitti sei wohl eher selten im Lehrplan von 50jährigen. Und da es in Bremen seit 1982 einen Einstellungsstop gebe, fehle es an jungen LehrerInnen, und der Bezug zur Jugendkultur sei kaum vorhanden in den Kollegien. Philip, der die Graffitti-Gruppe beim „Sommer-Traum“ leitet, ist selbst erst 15. Er sprayt schon seit drei Jahren und kann gut verstehen, daß die Kinder keine Vorgaben wünschen, sondern lediglich Tips zur Technik und zu Farbkombinationen. Die Kinder haben sich ihre Motive selbst ausgedacht, vorgezeichnet und sprayen sie draußen im Garten zunächst auf kleinere und später auf große Leinwände.

Ähnlich das Konzept beim Theaterspielen. Aus Verkleiden und Improvisation werden Ideen entwickelt. Nach einigen Szenen wird ein Rahmenthema gefunden: Die Eltern haben keine Zeit für Kinder. Es entsteht eine Geschichte. Eltern arbeiten fast pausenlos, streiten sich und speisen ihre Kleinen mit Computerspielzeug ab. Ihre Kinder gehen los, kommen an einen See und werden von einem Ungeheuer verschluckt. Das stellt den Eltern ein Ultimatum: Die Kinder werden nicht eher freigelassen, als bis die Eltern sich mehr Zeit für sie nehmen. Ob die Eltern darauf eingegangen sind, stand bei Redaktionsschluß noch nicht fest.

Auch in der nächsten Gruppe spielt ein Ungeheuer die Hauptrolle. Ein raumfüllendes Etwas aus Draht, an einigen Stellen schon mit kleistergetränkten Papieren umwickelt, wird bearbeitet von drei Kindern. Andere malen noch an ihren Modellen. Imka erläutert die Baustelle. Das Ungeheuer ist ein Dino. Es hat keine Beine, damit es nicht umfällt. Es wird mit gekleisterten Papieren verstärkt, später dann angemalt. Überall liegen Papier, Maschendraht, Farbtöpfe rum. Überhaupt das Material: Musik-Cassetten, Spray-Dosen, Farbe, Handwerkszeug, zusammen ist das ja nicht ganz billig. Obwohl auch viel ehrenamtliche Arbeit geleistet wurde, hätte das Ferienprogramm nicht stattfinden können, wenn den OrganisatorInnen nicht durch eine Spende von der Sparkasse geholfen worden wäre. Vom Senat war jegliche finanzielle Beteiligung abgelehnt worden. Ob es eine Fortsetzung des „Sommertraums“ geben wird, steht daher noch in den Sternen.

„Der Markt der bunten Träume und Unmöglichkeiten“ hat diese existentiellen Probleme nicht. Für die Sommer-Aktionstage im Bürgerhaus Weserterrassen gab es einen Zuschuß aus dem Kulturetat. Auch hier wird viel gebastelt und gepinselt: Guckkästen, Köpfe aus Pappmach und Gips-Pralinen sind schon fertig, an einer „Oase der Sinne“ wird emsig gearbeitet. Ein Schaukelstuhl wird zu einem Klingstuhl umgebaut. Gefüllte Schachteln, rasselnde Kronkorken und kleine Glöckchen lassen das Schaukeln zu einem Klangerlebnis werden. In der anderen Ecke des Raumes steht ein selbstgebasteltes Schlagzeug. Daneben ist eine Entspannungsecke mit Matrazen, Tüchern und Vorhängen eingerichtet – Ohrstöpsel sind noch nicht gebastelt.

Die Guckkästen im Zimmer nebenan stapeln sich bereits. Malte hat schon fünf gebaut. Durch Gucklöcher in Schuhschachteln sind kleine Landschaften zu sehen, in anderen ganze Zoos, Dinosaurier und eine Libelle im Spinnennetz. Spiegel an der Rückwand und Löcher im Deckel sorgen für die richtigen Lichtverhältnisse. Im selben Raum werden die Gipsfiguren gemalt, die in der Werkstatt gegossen worden sind. Im Zimmer nebenan basteln die Kinder aus Pappmaché riesige Köpfe von Dinosauriern, Katzen und Tigern. Ihr Problem ist, daß die Köpfe sehr groß werden – vielleicht zu groß zum Transport nach Hause.

Das übergreifende Thema aller Gruppen ist der Markt. Zum Abschluß der Ferienaktion wird er auf den Weserwiesen stattfinden. Für das Publikum werden die Ergebnisse dann ausgestellt und präsentiert. Höhepunkte werden dabei sicher die „Lebenden Statuen und Bilder“ sein. Ein riesiger selbstgebastelter Hut läuft durch den Saal. Paula versinkt völlig darin. Andere Kinder üben Handstand, tanzen und bauen Menschen-Pyramiden. Hille Wigand, die diese Gruppe leitet und die ganze Jugendfreizeit mitorganisiert hat, ist sich mit ihren KollegInnen aus Findorff einig, daß die Freiräume und eigenen Gestaltungsmöglichkeiten für die Kinder sehr wichtig seien. Auch hier: Nicht zu enge Vorschriften, kein lehrerhaftes Gebahren, damit die Kinder nicht an Schule denken müssen, sondern ohne Leistungsdruck Spaß am Spielen, Basteln, Bauen, Tanzen oder Musikmachen bekommen. Die Begeisterung, mit der die Kids dabei sind, gibt ihnen Recht.

Stephan Günther

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen