: Betr.: Alice Frohnert
Rund 550 Bordelle gibt es in Berlin, soviel wie Banken in Frankfurt. Und mindestens doppelt so viele Journalisten, die immer mal wieder gerne über Prostitution berichten. Leider fragen sie diese Frauen nie über das aus, worin sie Expertinnen sind: über ihre Freier. Da die meisten deutschen Prostituierten aus der Unterschicht kommen, gibt es nur wenige, die sich selbst als Autorinnen betätigen. Eine davon ist Alice Frohnert.
Die heute 34jährige stammt aus Schlesien. Ihre Eltern – der Vater ist Betriebswirt, die Mutter Architektin – siedelten 1972 ins Ruhrgebiet über. Nach dem Abitur zog Alice Frohnert nach Berlin, wo sie an der Freien Universität Theaterwissenschaft und Publizistik studierte, nebenbei jobbte sie als Platzanweiserin im Schiller- Theater. Von dort gelangte sie über eine Kollegin in das Bordell „Les Chambres“ am Savignyplatz. Insgesamt zwölf Jahre lang arbeitete sie dann in verschiedenen Bordellen. In dieser Zeit bediente sie etwa fünftausend Freier, die sie im nachhinein allesamt als eklig und häßlich, oft stinkend und meist unverschämt bezeichnet.
Alice Frohnert verliebte sich mit 14 in einen fünfzehn Jahre älteren Mann, von dem sie später auch ein Kind bekam, das heute mit seinem Vater in Italien lebt. Sie begann mit einer Mischung aus sexueller Neugier und Geldnöten in einem Bordell zu arbeiten. Sie beendete 1990 ihr Studium mit einer Magisterarbeit über Prostitution, die nicht angenommen wurde. Der Text wurde jedoch 1991 im Fischer-Verlag unter dem Titel „Ansichten der Prostitution“ veröffentlicht. Nach diesem „Outing“ empfahl ihr die FU-Fachschaft, sich zu exmatrikulieren. Im Jahr darauf erschien im Weidler-Verlag ihr Photo-Interview-Band „Dimensionen der Prostitution“. Ein drittes Buch von Alice Frohnert zum selben Thema ist derzeit in Vorbereitung. Gleichzeitig ist sie damit beschäftigt, ihre zweite, 1992 mit eins benotete Magisterarbeit über Semiotik zu einer Doktorarbeit über Gewalt in der Sprache zu erweitern. Ihren Lebensunterhalt verdient Alice Frohnert inzwischen als Autorin und Verlagsmitarbeiterin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen