: Jobs aus der Retorte
■ Die Multimedia-Branche klagt über Personalmangel, Firmen und Gewerkschaften basteln noch an neuen Berufsbildern
Ein paar nette Links reichen schon lange nicht mehr. Die Werbekunden verlangen Action. Autos müssen wirklich über den Bildschirm fahren. Besonders beliebt sind zur Zeit lebende Augen, die mit einem neckischen Zwinkern auf das Videofilmchen hinweisen, das mit einem Mausklick gestartet werden kann. Bisher haben sich vor allem Softwareentwickler um solche Dinge gekümmert – der Quellcode einer einigermaßen anspruchsvollen Website gleicht denn auch eher einem Computerprogramm als einem Text. Nur sind Programmierer in der Regel keine Grafiker und Grafiker keine Programmierer.
Die boomende Multimedia- Branche klagt deshalb über Personalmangel. Es fällt ihr immer schwerer, Fachleute für die etwa 6.000 Multimedia-Anbieter und 600 Multimedia-Produzenten in Deutschland zu finden. Das Consultant-Unternehmen Arthur D. Little schätzt, daß bis zum Jahr 2000 eine Million Bundesbürger in Multimedia-Berufen arbeiten werden. Der Medienkonzern Bertelsmann geht sogar davon aus, daß 2 Millionen deutsche Arbeitsplätze im Jahr 2000 direkt oder indirekt von Multimedia abhängen werden.
Doch nur ein geringer Teil der Zukunftstechnologie schafft wirklich neue Arbeitsplätze. Häufig werden lediglich konventionelle Berufsfelder den neuen, multimedialen Anforderungen angepaßt. Die Arbeit am heimischen PC wird deshalb zunehmen – im Vergleich zu anderen Branchen werden feste Arbeitsverhältnisse jedoch abnehmen. Nach einer Untersuchung des Deutschen Multimedia-Verbandes (dmmv) sind ein Drittel aller Multimedia-Schaffenden auf freier Basis beschäftigt. Dr. Peter Schisler, Geschäftsführer von „mediadesign Berlin“ und Autor der dmmv-Studie, geht davon aus, daß sich daran sobald nichts ändern wird. Grundsätzlich seien die Multimedia-Unternehmen zwar bestrebt, qualifizierte Mitarbeiter an sich zu binden. Bei zusätzlichen Aufträgen griffen Unternehmen aber auf die Freiberufler zurück, berichtet Schisler.
Als Arbeitsplatzmotoren der Branche erweisen sich immer stärker die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Während die großen Tanker der Medienbranche oft alte Marktfelder und damit auch Arbeitsplätze den neuen Medien opfern, suchen sich die Kleinunternehmer hochspezialisierte Marktnischen. „Die innovative Entwicklung wird von diesen Schnellbooten bestimmt“, glaubt Markus Schöneberg vom Verein zur Förderung der Aus- und Weiterbildung in der Medienwirtschaft. Oft sind es die Quereinsteiger mit ausgeprägter Praxiserfahrung, die bei den Kleinunternehmen anheuern.
Die neue Technologie mit ihrer digitalen und interaktiven Vielfalt setzt neue Berufsbilder voraus. Fünf Kernberufe sind erkennbar, deren Bezeichnungen noch arg variieren: Wer die interaktiven Produktionen an der Workstation erstellt, darf sich „Multimedia-Programmierer“ oder „Multimedia- Informatiker“ nennen. Wer die Benutzeroberfläche nach ästhetischen und funktionalen Gesichtspunkten gestaltet, heißt „Screendesigner“. Für das tatsächliche Einrichten der Multimediaseiten ist danach der „Netzwerker“ verantwortlich. In den Reigen der neuen Berufsbilder fügen sich noch der „Multimedia-Autor“, zuständig für die Drehbücher von Multimedia-Produktionen, und der „Multimedia-Projektleiter“ ein, der als besonders scheues Reh auf dem Arbeitsmarkt gilt. Qualifizierte Leute, die Kosten kalkulieren können und die Gesamtverantwortung für Multimediaproduktionen tragen wollen, sind rar, berichtet Frank Bayer, Bereichsleiter beim Fachvermittlungsdienst Kienbaum und Partner.
Die Druckindustrie und die IG Medien basteln noch am neuen Berufsbild des „Mediendesigners“. Die nötigen Qualifikationen sollen im Rahmen der oder im Anschluß an die dreijährige Berufsausbildung der Reprohersteller und Setzer erworben werden. Doch auch dieser Beruf steckt noch im Stadium der Konzeption. Von einer geregelten Ausbildung sind Arbeitgeber und Gewerkschaft weit entfernt.
Um dieses Manko zu beheben, wurden zarte Bande zwischen Multimedia-Schaffenden, Personalvermittlern und dem Bundesinstitut für Berufsbildung geknüpft. Dieter Blume vom Bundesinstitut sagt offen, daß der Staat der Entwicklung etwa fünf Jahre hinterherhinkt. Die Multimedia-Unternehmen bemühen sich inzwischen selbst um interne und externe Aus- und Fortbildung. Paulus Neef von „Pixelpark Multimedia“ in Berlin bietet Praktikumsplätze in seinem Unternehmen an. Im Durchschnitt sind die Praktikanten nicht älter als 30 Jahre. „Wer älter ist als 40, hat kaum eine Chance“, meint Frank Bayer. Ansätze für eine qualifizierte externe Ausbildung sind seiner Ansicht nach in der „Multimedia-Akademie Friedrichshafen“ und in der „Multimedia-Akademie mediadesign Berlin“ erkennbar. Welchen Sinn solche Bildungsgänge ohne allgemeingültige Ausbildungsrichtlinien haben, wird sich im Sommer zeigen: 120 Absolventen der Akademie Friedrichshafen drängen dann auf den Arbeitsmarkt. Martin Lampadius
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