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Zuckerbrot und Pop-Art

■ Kinder auf Kunst-Expedition im Neuen Museum Weserburg: Vorliebe für Arte Povera und Mohrrüben zum Mittagessen

Die Kinder liegen zu Füßen einer skurrilen Gesellschaft von Holzköpfen. „Zehn Geschworene“, ein Figurenensemble des deutschen Popkünstlers Daniel Spoerri, blicken auf die Mädchen und Jungen herabe. Und die bestaunen Spoerris gewitzte Hüte aus Fleischwolf, Hirschgeweih und Schuhspanner und lassen sich zum Malen inspirieren – ein ungewohntes Bild im oftmals menschenleeren Museum auf dem Bremer Teerhof.

In einem Ferienkurs wurden jetzt drei Tage lang Kinder auf den Weg zur Moderne geschickt, und das funktionierte. Aber warum fiel der Blick der kleinen MuseumsgängerInnen ausgerechnet auf Daniel Spoerri? „Die meisten Arbeiten hängen bloß an der Wand“, sagt Nadia, 12, „und hier ist das Kunstwerk ein ganzer Raum. Das ist doch viel spannender.“ Und die neunjährige Meilin hat noch nie so schrecklich schöne Hüte gesehen.

Den anderen Mädchen fällt derweil keine geistreiche Antwort ein. Sie kichern verlegen und wollen nur eines: endlich Mittagspause mit Butterbrot und Mohrrüben. Schließlich ist es Donnerstag, zwölf Uhr mittag. „Die haben jetzt vor lauter Anstrengung eine Unterzuckerung“, vermittelt Museums-pädagogin Christine Breyhan einfühlsam. Das sei gestern genauso gewesen, als die 15 Kinder aus Schrott und Kabelresten eigene Kunstwerke gebaut haben.

Mit den Ferienkursen will die Frau, die in ihrem früheren Leben Malerin und Kunstlehrerin war, am Vorurteil einer „Kunst, die sowieso keiner versteht“ rütteln. Alles vorgefertigte Meinungen, erklärt Breyhan. Für sie ist die Weserburg im Sinne von Beuys ein „permantes Inspirationslager“, in dem jeder, auch die Kleinen, zulangen sollen.

Beim Sommerprogramm, beeilt sie sich hinzuzufügen, soll sich das Museum allerdings um Gottes Willen nicht in eine Spielwiese verwandeln. Furchtbar findet sie auch die Idee eines Mitmach-Museums im Sinne leidiger Rallyes mit Fragebogen zu Kunst und Künstler. Das sei doch nichts anderes als braver Kunstkonsum. Auch ums Kopieren geht es ihr nicht, sondern um Inspiration.

Eigens vom Schrottplatz und einer Telecom-Baustelle hat die Oldenburger Kunstlehrerin Hilde Winkler fürs Museumsprojekt verrostete Teile und Kabel herbeigeschafft. Schließlich gilt es den Feriengästen das Prinzip der Arte Povera, die mit dürftigen Materialien arbeitet, zu erklären. Und weil's hier nicht um Kunst für die Ewigkeit geht, werden nach den drei Museumstagen alle Arbeiten der Kinder zerstört. Für Carl, 8, ein Ärgernis: „Ich hätte lieber ein Entgeld entrichtet“, formuliert er ernst, „und meine Arbeit mitgenommen.“

Was besser ankommt bei den Kleinen, ist die Offenheit des Programms. „Hier ist alles viel freier als in der Schule“, sagt Julika. Niemand habe vorgeschrieben, was genau zu tun sei. Und das Arbeiten mit Schrott habe total viel Spaß gemacht. Vom Modell des „Verstehens durch eigenes Tun“ ist auch die 13jährige Clara begeistert: „Die Erklärungen zu den einzelnen Kunstwerken haben meistens Erwachsene geschrieben“, so die Schülerin, „und das versteht man nicht so, als wenn man das selbst erfahren hat.“

Die Offenheit der Jungs und Mädchen gegenüber moderner Kunst wiederum fasziniert die drei beteiligten Pädagoginnen. Die Oldenburger Studentin Alexandra Meinen hat beobachtet, daß die Kinder über das Spiel ganz selbstverständlich verstehen, was der Künstler meint.“ Mit den Objekten würden sie viel unkomplizierter umgehen als viele Erwachsene.

Erreicht hat Museumspädagogin Breyhan mit ihrem Sommerprogramm allerdings wieder nur einige wenige. Zwar hatte sie gerade an Kinder gedacht, deren Eltern nicht genug Geld zum Verreisen haben. Doch gekommen sind ausschließlich wohlerzogene, souveräne Kids „aus Elternhäusern, wo Kunst eine Rolle spielt“.

„Meine Eltern sammeln alte Sachen, hauptsächlich antiquarisch“, erzählt der achtjährige Carl aus Schwachhausen. Julikas Mutter arbeitet beim Bund Bildender Künstler, Claras Mutter an der Uni bei den Kulturwissenschaftlern, und Cerens Vater kennt viele Maler. Und weil sie schon vor dem Kurs offen für Kunst waren, wollen die Kinder auch später einmal in der Weserburg vorbeischauen. Vielleicht zusammen mit den Eltern, sagen sie, um denen etwas über die Moderne zu erzählen. Sabine Komm

Vom 24. bis 26. Juli wird in der Weserburg ein zweites Projekt für Jugendliche zwischen 15 und 20 angeboten. Anmeldung im Museum: 04 21 / 59 83 907

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