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Bei NARVA geht das Licht noch nicht aus

Wenn wir alle unsere Arbeit und unser Auskommen mit Narva haben“, meint Mathias Pfau, „dann ist das schon genug.“ Er macht eine kurze Pause, dann setzt er hinzu: „Und Auskommen bedeutet nicht, daß die Geschäftsführer hier im 500er Mercedes vorfahren.“

Pfau ist einer der drei Geschäftsführer der „Narva Gesellschaft für Lichterzeugnisse mbH“. Er weiß sehr gut, daß sich keiner aus dem Trio so schnell ein Luxusauto zulegen wird – die Firma ist gerade mal aus dem Gröbsten heraus. Aber es scheint, als habe der 44jährige Probleme mit seiner Rolle als Chef. Als müsse er sich und seinen 70 MitarbeiterInnen immer wieder versichern, daß sich niemand auf Kosten der ArbeiterInnen „die Taschen voller Geld schlagen“ wolle.

70 Männer und Frauen sind heute bei Narva (der Name steht für Natrium Argon Vakuum) beschäftigt – ein Bruchteil der 16.000 Beschäftigten im Narva-Kombinat zu Zeiten der DDR und ein Überbleibsel der ehemals 5.000, die in der Zentrale, dem Berliner Glühlampenwerk, ihren Arbeitsplatz hatten. Schon seit 1912 wurden an der Warschauer Straße Glühbirnen hergestellt, damals noch von Osram. Weil die Siemens-Tochter während des Krieges Zwangsarbeiter ins Werk holte, ist der zerstörte Betrieb anschließend rechtmäßig enteignet worden.

Unmittelbar nach Kriegsende hatten ehemalige Osram-ArbeiterInnen die Fabrik wieder aufgebaut, die beschädigten Maschinen aus Bombentrichtern gezogen und instand gesetzt. Es entstand der VEB Berliner Glühlampenwerk. Zum Schluß waren 13 Lichtbetriebe, verteilt in der DDR, im Narva- Kombinat zusammengefaßt. In Berlin wurden 150 Millionen Glühlampen und fünf Millionen Straßenlampen pro Jahr hergestellt.

Die Narva-ArbeiterInnen waren stolz auf ihren Job. Wenn sie abends nach Hause fuhren, wurden die Straßen von ihren Lampen beleuchtet. Ihr Kombinat belieferte außerdem den gesamten Ostblock bis in die Ukraine mit Glühbirnen. Für viele war der Betrieb eine Art Familienunternehmen. „Mal ganz abgesehen vom politischen Hintergrund: Das war Heimat für uns“, sagt Matthias Pfau. Er ist schon 22 Jahre dabei. Seine Mutter baute in den fünfziger Jahren die Betriebsbibliothek mit auf. Zu deren Glanzzeiten konnten die Narva-Angestellten aus 50.000 Bänden auswählen. Die Wende war noch nicht vorbei, da wurde die Bibliothek aufgelöst. Für eine Mark das Stück sind die Bücher am S-Bahnhof Warschauer Straße verramscht worden.

Auch das Kombinat wurde aufgelöst. Für die Übernahme des Glühlampenwerks fand sich allerding kein Investor. Also wurde Narva aufgeteilt. Im Sommer 1992 übernahm die Priamos GmbH den Geschäftsbetrieb und die Sirius GmbH die Immobilie. Während der historische Gebäudekomplex von der Hypo-Bank zur „Entwicklung“ erworben wurde, hatten die verbliebenen 1.080 MitarbeiterInnen lange Zeit keine Perspektive. Der Privatisierungsvertrag sah zwar vor, die ArbeiterInnen mit neuen Arbeitsplätzen zu versorgen, doch scheiterte das Konzept.

Als die drei Jahre garantierter Weiterbeschäftigung sich dem Ende zuneigen, sind bei der Priamos noch 200 Leute beschäfigt. Es stellt sich heraus: Ein kleiner Produktionsbereich könnte sich halten. Doch Ende 1994 soll auch dieser abgewickelt werden. Da fällen Matthias Pfau und sechs weitere KollegInnen die Entscheidung, sich persönlich für den Erhalt der Arbeitsplätze zu engagieren. Sie kaufen von der Priamos die Maschinen und Konstruktionspläne; zum ersten November des Jahres 1994 übernehmen sie den Geschäftsbetrieb.

„Wir konnten den KollegInnen keine Garantie für den Erfolg unseres Unternehmens geben“, erinnert sich Pfau. Trotzdem nahmen 68 von 72 ehemaligen MitarbeiterInnen das Angebot zur Weiterbeschäftigung bei der neuen Narva an. „Viele sind schon über 20 Jahre im Betrieb, die hätten woanders keine Stelle mehr bekommen.“ Im März 1996 liefen die Nutzungsrechte für die alte Fabrik aus. Den Umzug an den neuen Standort in Berlin-Lichtenberg finanzierten die TeilhaberInnen aus eigener Tasche, verschuldeten sich dafür persönlich.

Die letzten Tage am alten Standort gerieten zur Tortur. Die kalten Wintermonate hindurch konnte das alte Gebäude nicht mehr geheizt werden. In eisiger Kälte wurden die letzten Glühbirnenserien an der Warschauer Straße hergestellt, die Maschinen für den Umzug ausgebaut. Pfau ist stolz auf seine Leute: „Die haben geackert wie die Hafennutten.“ Dafür sollen sie dereinst entlohnt werden. Noch ist Narva nicht einmal in der Lage, nach Tarif zu bezahlen, aber Pfau plant für die große Zukunft des Betriebes voraus: „Wenn hier mal Gewinne gemacht werden, dann werden die an die Mitarbeiter ausgeschüttet.“

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