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„Das ist Inkompetenz auf höchster Ebene“

■ Der unabhängige Abgeordnete Tony Gregory über die Fehler von Politik und Polizei

taz: Die Polizei behauptet, in Dublin sei alles in Ordnung, das organisierte Verbrechen sei ein Hirngespinst der Medien, Irland habe die niedrigste Verbrechensrate in der EU. Stimmt das alles?

Tony Gregory: Genau das ist das Problem: Seit 1980 behaupten die Behörden, daß es kein Heroin- Problem gibt. Die offizielle Politik begnügte sich damit, die Sache auf die armen und benachteiligten Viertel Dublins einzugrenzen. Das war ein Fehler, denn in diesen Vierteln wuchsen Drogenbarone heran, die in Ruhe ihre Netzwerke aufbauten und sehr viel Geld anhäuften. Inzwischen geht es um so große Summen, daß sie sich dafür gegenseitig erschießen. Wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, an dem wir jeden Monat einen Auftragsmord fast erwarten. Einen Tag vor dem Mord an Veronica Guerin habe ich zu einem Bekannten gesagt: Ich frage mich, wer wohl als nächster dran sein wird.

Die Polizei behauptet, es gibt überhaupt keine bestellten Morde.

(Gregory bricht in Gelächter aus). Das sagt der Pressesprecher. Drei Wochen vor dem Guerin- Mord ging es vor dem Sicherheitsausschuß des Parlaments um Auftragsmorde. Ich sagte damals, daß viele Kriminelle aus den vergangenen zwölf Monaten folgende Lehre gezogen haben: Wenn du jemanden loswerden willst, töte ihn, und damit ist die Sache erledigt. Wenn du Schwierigkeiten mit einem Polizisten, Politiker oder einem Journalisten hat, erschieß ihn. Der Polizei ist es nicht gelungen, irgend jemanden für die zwölf Morde zur Anklage zu bringen.

Woran liegt das?

Die Polizei hat das Drogenproblem jahrelang absichtlich unter den Teppich gekehrt. Natürlich hat das auch mit Inkompetenz auf höchster Ebene zu tun: Der Polizeichef ist für den Einsatz der Mittel und des Personals verantwortlich, und er hat nicht die Veränderungen durchgesetzt, die in Anbetracht dieses neuen Typs von Verbrechen nötig gewesen wären.

Stehen Polizisten auf den Gehaltslisten der Drogenkartelle?

Wo es ein Drogenproblem gibt, dort gibt es auch korrupte Polizisten, sagt man. Es gibt dafür in Dublin jedoch keine Beweise. Es wird immer mal wieder angedeutet.

Gibt es keine politischen Richtlinien für die Polizei, keine Vorgaben? Ignorieren auch die Politiker das Drogenproblem?

Anfangs ja. Die meisten Wahlkreise waren ja nicht betroffen, die Mittelklasse ebensowenig. So lag für die Politiker kein Handlungsbedarf vor. In letzter Zeit hat sich das geändert, verschiedene Politiker haben Initiativen gefordert. Das liegt vor allem an Ecstasy, das über ganz Irland verteilt ist. Deshalb sind Drogen jetzt auch ein politisches Thema, das nicht auf bestimmte Viertel in Dublin beschränkt ist.

Irland hat die höchste Rate an HIV-positiven Neugeborenen, die Zahl der Heroinsüchtigen ist in Dublin viermal so hoch wie in London. Was kann denn jetzt getan werden?

Ich will nicht übertreiben, wir sind noch nicht so weit wie in Kolumbien. Irland ist ein kleines Land mit wenigen Einwohnern. Aber man hat den Zeitpunkt vor ein paar Jahren verpaßt: Heute müssen sich die Drogenbarone nicht mehr selbst die Hände schmutzig machen, dafür haben sie ihre Leute, ihre Netzwerke. Jetzt muß man das tun, was schon vor zehn Jahren hätte geschehen müssen: Man muß genügend Mittel und Personal umdirigieren und von anderen Städten lernen. In Dublin kann heute jeder, der das tun will, unbehelligt Drogen verkaufen. Ein Beispiel: Wenn du siehst, wie dein Nachbar eine größere Menge Heroin geliefert bekommt und dann die Süchtigen bei ihm Schlange stehen, kannst du die Polizei anrufen. Daraufhin passiert nichts. Wenn das Revier keine Drogeneinheit hat, wird man an ein anderes Revier verwiesen. Dort erreicht man wahrscheinlich keinen, weil die Beamten gerade unterwegs oder vor Gericht sind. Am Ende macht ein Polizist eine Aktennotiz, und eine Woche später kümmert sich jemand darum. Meldet man dagegen einen Überfall auf das Postamt gegenüber, sind innerhalb von fünf Minuten sechs Mannschaftswagen da. Es ist eine Frage der Einstellung, und die hat sich bis heute nicht geändert. Interview: Ralf Sotscheck

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