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Europas Heroin-Hauptstadt

Dublin hat mehr Heroinabhängige als London, Glasgow und Manchester zusammen. Fünf Drogenbosse kontrollieren die Stadt.  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

„Es gibt keine Regeln mehr“, sagte die junge Frau betrübt, als sie am Newlands Cross in Dublin einen Strauß Blumen niederlegte. „Das ganze Land geht vor die Hunde. Erst die abscheulichen Überfälle auf alte und alleinstehende Menschen auf dem Land, und jetzt die Mafia-Morde in Dublin. Bald ist es hier wie in Sizilien.“

Am Newlands Cross ist vor drei Wochen die 36jährige Journalistin Veronica Guerin erschossen worden, als sie von einem Gerichtsprozeß im Vorort Naas auf dem Weg zur Redaktion war. Sie war vermutlich guter Stimmung, weil der milde Richter sie zu einer Geldstrafe von umgerechnet sechzig Mark verurteilt hatte, obwohl sie auf einer Landstraße 165 Stundenkilometer gerast war. In der Redaktion wollte sie ihren Artikel über den „Coach“, wie der mutmaßliche Unterweltboß John Traynor genannt wird, für die Sonntagsausgabe überarbeiten. An der roten Ampel am Newlands Cross, einer häßlichen Kreuzung am Rande der irischen Hauptstadt, hielten zwei Männer auf einem Motorrad neben ihr und feuerten ihr mehrere Kugeln in den Kopf. Der „Coach“ hat den Abdruck des Artikels vorige Woche gerichtlich verbieten lassen.

Guerins Mörder werden kaum mehr als 5.000 Mark kassiert haben, Auftragsmorde sind billig in Dublin. Es war die zwölfte Tat dieser Art, seit der Gangsterboß Martin Cahill, der „General“, im August 1994 – vermutlich von IRA- Mitgliedern – erschossen worden war. Veronica Guerin hatte auch über den „General“ berichtet und wurde dafür von seinen Leuten bedroht – nicht etwa wegen ihres Artikels über seine Heroingeschäfte, sondern weil sie behauptet hatte, er würde seine Frau betrügen.

Für die Auftragsmorde ist kein Täter gefaßt worden, es gibt nicht mal Tatverdächtige. Auch Veronica Guerins Mörder müssen nicht mit einer Strafe rechnen, ebensowenig wie die Hintermänner. Die sind bekannt: Zur Tatzeit gaben sich mehrere Drogenbarone in der Innenstadt ein Stelldichein und benahmen sich recht auffällig, um später ein Alibi zu haben.

Veronica Guerin hatte der Drogenmafia den Kampf angesagt. Ihren ersten Artikel hatte sie erst 1990 geschrieben, vorher war sie Buchhalterin und Chefin einer Werbefirma. Seit drei Jahren kannte sie nur noch ein Thema: die Dubliner Unterwelt. Die ließ sich das hartnäckige Interesse nicht gefallen. Im vergangenen Jahr schoß man Veronica Guerin ins Bein, später kam ihr Haus unter Beschuß. Den Personenschutz, unter den man sie danach stellte, schickte sie im Frühjahr nach Hause. Es habe sie bei ihren Untersuchungen der Heroinszene behindert, sagte sie.

Die Drogenmafia hatte in Dublin leichtes Spiel

Es war 1979, als Heroin über Dublin hereinbrach. So neu das für die Polizei und erst recht für den Großteil der Bevölkerung war – eigentlich hatte es genügend Warnzeichen in anderen Ländern gegeben. In den sechziger Jahren hatte sich in Irland ein rasanter Wandel vom traditionellen Agrarland mit dichten sozialen Strukturen zur urbanisierten Gesellschaft mit allen Begleiterscheinungen vollzogen. Innerhalb von fünf, sechs Jahren verdreißigfachte sich die Zahl der Raubüberfälle, die Aufklärungsrate lag bei gerade mal 30 Prozent. Die Garda Siochana, die „Friedenswacht“, reagierte mit der Gründung einer „Special Task Force“, die Beamten wurden mit Pistolen ausgerüstet. Die Dubliner Unterwelt erwies sich als flexibel: Sie stieg auf den Heroinhandel mit ungleich höheren Gewinnchancen bei geringerem Risiko um.

Sie hatte leichtes Spiel. Grundstücksspekulanten und die Kahlschlagsanierung der Stadtväter hatten in der Dubliner Innenstadt verheerende Verwüstungen angerichtet, viele Einwohner wurden in zubetonierte Vorstädte ohne Infrastruktur abgeschoben. Die Arbeitslosigkeit betrug in diesen Vierteln bis zu 80 Prozent, die Jugendlichen hatten so gut wie keine Aussichten auf einen normalen Job. Sozialforscher schätzten 1983, daß zehn Prozent der 15- bis 24jährigen in Dublin an der Nadel hingen. Innerhalb von vier Jahren hatte sich die Zahl der Hepatitis- Fälle verfünffacht.

„Betroffene Kriminelle“ gegen Drogenbosse

In den betroffenen Stadtteilen gründeten Eltern in Anbetracht der Tatenlosigkeit offizieller Stellen zahlreiche Selbsthilfegruppen. Sie organisierten Demonstrationen vor Wohnungen von Dealern und liefen nachts Patrouille. Das rief schließlich auch die „Ordinary Decent Criminals“, die normalen, anständigen Kriminellen auf den Plan: Sie gründeten eine „Aktionsgruppe betroffener Krimineller“ und demonstrierten unter ihrem offiziellen Namen gegen Drogenhändler und Elterninitiativen gleichermaßen, weil sie sich durch deren Aktivitäten in ihren Geschäften unzumutbar behindert fühlten.

Die Zeiten, als selbst die irische Unterwelt noch in das Klischee der komischen Insel am Rande Europas zu passen schien, sind indes vorbei. Dublin hat heute mehr Heroinabhängige als London, Glasgow und Manchester zusammen.

Die heutigen Drogenbarone der dritten Generation machen sich die Hände nicht mehr schmutzig. Es geht um fünf Männer, die allesamt aus heruntergekommenen Innenstadtvierteln stammen, inzwischen in Luxusvillen in besten Wohngegenden oder Hotel-Suiten im Dubliner Geschäftsviertel wohnen und mit der High-Society aus Politik und Wirtschaft verkehren.

Sie konkurrieren um den Drogenmarkt, einen Großteil ihrer Drogengelder haben sie in legale Unternehmen wie Gaststätten, Transportunternehmen und in die Modeindustrie investiert. Bekannt ist, daß drei der Herren Morddrohungen gegen Veronica Guerin ausgestoßen haben. Einer von ihnen, John Gilligan, leitet seine Geschäfte jetzt von Amsterdam aus und gibt der irischen Presse ständig Interviews, in denen er seine Unschuld beteuert. Er habe Angst, daß die IRA ihm nach dem Leben trachte, sagt er.

Law-and-order-Getöse, ganz nach der Volksseele

Aus der Unterwelt sind zahllose Hinweise eingegangen, gab die Polizei bekannt. Die großen und kleinen Kriminellen fürchten, daß das internationale Aufsehen, das der Guerin-Auftragsmord ausgelöst hat, ihnen ins Handwerk pfuschen wird. Schon reden die Politiker von Gesetzesverschärfungen: sieben Tage Haft ohne Anklage, Abschaffung des Rechts auf Aussageverweigerung, Einschränkungen bei Freilassung auf Kaution, neue Gefängnisse und mehr Polizisten. Bürgerrechtsorganisationen warnen, daß dies zu vielen Fehlurteilen führen werde, rechtsextreme Journalisten wie Kevin Myers von der liberalen Irish Times denunzieren die Bürgerrechtler als „selbsternannte Hellseher“.

Myers' Law-and-order-Getöse entspricht der Volksseele, wie es in einer solchen Situation üblich ist. Am Newlands Cross legen noch immer Menschen Blumen nieder. Ein 52jähriger Bauarbeiter fragt: „Wundert sich etwa jemand, daß sie die junge Journalistin umgebracht haben? Jeder weiß doch in diesem Land, daß die Täter nichts zu befürchten haben. Veronica Guerin ist vom Gericht bestraft worden, weil sie zu schnell gefahren ist. Ihre Mörder müssen nicht mal eine Geldstrafe zahlen.“

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