: Sturm und Drang und MTV
Viel Fracht für eine Klassiker-Inszenierung: „Hamlet“ im Kleinen Wasserspeicher ■ Von Petra Brändle
Wenn die location und der event zum theatralischen Movens werden, geschieht es wohl zwangsläufig, daß Hamlet zum Action-Häppchen wird. Im Ruinenambiente ganz nach dem Gusto der Berliner Szenegänger huschen fackeltragende Gestalten von Lichtkegel zu Lichtkegel. Treppauf, treppab, durch geheimnisvolle Gänge, dann von hinten wieder hervor. Die Huschenden auf den Bühnen sind derzeit stets präsente Neo-Edelpunks, Morbidität deuten sie mittels barocker Gewänder an, Nacht- und Himmelblau geben dem Arrangement einen Schuß melancholischen Glanz – fertig ist das Theaterereignis für den irgendwie kritisch eingestellten Kreativ-Ästheten.
Sein oder Design, das ist hier keine Frage mehr. Das fängt beim Programmheft an, das nichts weiter als schicke Verpackung für Werbeblöcke ist; schließt die Reklame für einen Medienkonzern auf der Bühne und im Text ein (schamhaft geflüstert); und endet beim Bierchen, das den Zuschauern zum Schauspiel serviert wird. Ach wie „taufrisch“! – da hat das Pressepapier recht. Sein progressiver Jargon enthüllt um so deutlicher die Mogelpackung „Hamlet“ im Kleinen Wasserturm – eine Butterfahrt des Off-Theaters.
Sinnigerweise wurden wir bereits am Eingang mit Rheumadecken ausgestattet. „Täuschen Sie sich nicht, drinnen ist es kälter als draußen“, warnte man uns vorab. Täuschen Sie sich nicht, drinnen ist es auch leerer: Mit viel Chichi und wenig Gehalt. Dieser „Hamlet“ ist zurechtgestutzt auf einen Generationskonflikt, der durch eine Zuneigung Hamlets zu seiner Mutter Gertrude mit fast ödipalem Charakter eine besondere Note erhält. Das ist der Rückzug ins Private, und zwar dorthin, wo sich die psychologische Dimension an der MTV-Oberfläche orientiert. Schön, aber nur für kurze Zeit.
Laertes, Girlie-Ophelia und Hamlet sind aufsässig, trotzig und von sturmdrängerischem Blute. Die Geschwister zappeln und stöhnen genervt auf, wenn Vater Polonius Laertes gute Ratschläge zum Abschied gibt. Hamlet und Ophelia turteln verschämt-schüchtern – wiewohl bezaubernd. Einziges Glück dieser Inszenierung sind die Schauspieler, allen voran Ulrich Hoppe vom BE als Hamlet. Obwohl diesem Hamlet die grüblerische, passive Seite und die lähmende Melancholie genommen wurde, die die deutschen Hamlet- Interpretationen so gern betonen, und obwohl sein „kindisches“ Wesen, die läppische Umgangssprache manchmal aufgesetzt wirken, hat Ulrich Hoppe Kraft und Charisma. „Das ist mein Film!“ brüllt er – und es ist tatsächlich seine stärkste Szene, wenn er im eingespielten Video eine Mutter therapeutisch über die Sohnesliebe befragt. Aufs trefflichste verweigert sich „sein“ Film dabei jeglicher Stil- und Schnittregel. Einfach hip, dieser ironische Bruch. Wieso aber zettelt ein Hamlet, der sich als Trash-VJ präsentiert, ein so uncooles Shakespeare-Drama an?
Schlüssigkeit und Tiefe wurden zugunsten des Gags geschlachtet. Allerdings nur halbherzig, denn als komplettes Trash-Vehikel ist Shakespeare einer ehemaligen Ernst-Busch-Regiestudentin dann doch zu heilig: Die Regisseurin Katrin Hentschel schwankt zwischen Stilmitteln und halbherzigen Ansätzen, läßt „Sein oder Nichtsein“ im Dunkeln sprechen, Ophelia an der Leiter baumeln und Ulrich Mühe oder Douglas Hudgins als königlichen Geist vom Bildschirm reden.
„Alles, was so übertrieben wird, ist dem Vorhaben des Schauspiels entgegen...“, lehrt uns Ulrich Mühe auf wunderbare Weise mit seinem Monolog an die Schauspieler. Einfach, zögernd und überzeugend – und doppelt entlarvend: die Überfrachtung der Inszenierung sowie die Qualitätsunterschiede zwischen schlechtem Off-Theater und großartigen Schauspielern, die mit wenigen Mitteln eine Flut von modischen Spielereien ersetzen. In seiner Unentschiedenheit kann und will uns dieser Hamlet nichts bedeuten, er ist Ausdruck dafür, daß in finanzschwachen Zeiten (auch) in der Off-Kultur die Fassade zählt und die PR-Arbeit zum Konzept mutiert.
„Hamlet“. Kleiner Wasserturm, Eingang Kolmarer Straße, bis 10. August, 21 Uhr, jeweils Di.–So.
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