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Scharfmacher auf dem Vormarsch

Seit Beginn der Friedensgespräche in Nordirland haben sich im protestantischen Lager radikale Führer durchgesetzt. Sie warnen vor der „Bedrohung“ durch den Frieden  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Es war David Trimble anzusehen, daß er sich in seiner Haut nicht wohl fühlte. Die BBC hatte gerade enthüllt, daß sich der Vorsitzende der Ulster Unionist Party (UUP), Nordirlands größter Partei, vorige Woche heimlich mit Billy Wright getroffen hatte. Wright ist Chef der paramilitärischen Ulster Volunteer Force (UVF) in Portadown, wo ein protestantischer Triumphzug durch ein katholisches Wohnviertel am vergangenen Donnerstag die schlimmsten Unruhen auslöste, die Nordirland seit anderthalb Jahrzehnten zu verzeichnen hatte.

Er habe lediglich dafür sorgen wollen, daß die UVF ihren Waffenstillstand vom Oktober 1994 einhalte, erklärte Trimble lahm. Gleichzeitig hatte er jedoch ein Treffen mit den katholischen Anwohnern verweigert, weil deren Sprecher als IRA-Mitglied früher mal im Gefängnis gesessen hatte. John Alderdice von der gemäßigten unionistischen Alliance Party bezeichnete Trimble als „widerlichen Heuchler“ und sagte, er habe „jede politische und moralische Autorität verspielt“.

Trimbles Ruf als demokratischer Politiker hat in Portadown zwar Schaden erlitten, doch die Ereignisse haben auch gezeigt, daß die alte Taktik nach wie vor funktioniert: Wenn die Unionisten mit dem Säbel rasseln, lenkt die britische Regierung ein. „Der Mob regiert“, meinten Medien und Politiker angesichts der Bilder von Barrikaden und brennenden Städten. Doch das protestantische Lager ist keineswegs ein monolithischer Block, die große Mehrheit war über den Waffenstillstand vor zwei Jahren erleichtert und freute sich über die ersten Anzeichen eines wirtschaftlichen Aufschwungs.

Der Guardian-Kolumnist Hugo Young macht denn auch die Politiker für die Krise verantwortlich. „David Trimble hat sich als katastrophaler Führer der Unionisten entpuppt“, schrieb Young. „Er hat kaum versucht, das Stammesdenken der Marschteilnehmer zu entschärfen.“ Viele Protestanten wären vorige Woche zu Hause geblieben und nicht nach Portadown gefahren, so Young, wenn sie nicht von ihren Führern zu den Barrikaden gerufen worden wären.

Für Trimble ging es um die Vorherrschaft auf unionistischer Seite. Sein Konkurrent Ian Paisley wartete nur auf einen Fehler, um Trimble als Verräter an der protestantischen Sache zu brandmarken. Paisley macht sich geschickt die Ängste und die Lagermentalität der Protestanten zunutze, die schon seit dem 17. Jahrhundert besteht, als die britische Krone protestantische Siedler nach Irland schickte. 1971 spaltete er die alte unionistische Einheitspartei und gründete die Democratic Unionist Party (DUP) sowie seine eigene Kirche, die Free Presbyterian Church. Paisleys Demagogie kommt vor allem in den Arbeitervierteln an: Kein Politiker erhält bei Wahlen so viele Stimmen wie er.

Der Zusammenbruch des unionistischen Einheitsparteienregimes und die Wiederbelebung loyalistischer paramilitärischer Organisationen hat dafür gesorgt, daß die Bedeutung des Oranier-Ordens mit seinen rund 100.000 Mitgliedern in den 60er und 70er Jahren immer geringer wurde. Und doch: „Die klassenübergreifende Allianz des Ordens gibt den protestantischen Arbeitern marginale ökonomische Vorteile und das Gefühl dazuzugehören“, schrieb Pit Wuhrer, ein Kenner der protestantischen Szene Nordirlands. Erst in den letzten zwei Jahren aber gewann der Orden wieder an Einfluß: Hatten die Oranier sich bisher mit der Organisation der Paraden zufriedengegeben, so haben seit dem Waffenstillstand die Fundamentalisten an Einfluß gewonnen, wittern sie doch hinter den Friedensgesprächen einen ersten Schritt in Richtung auf ein vereintes Irland. So halten sie erst recht an ihren Symbolen und Paraden fest. Von den radikalen Loyalisten wurden die Ordensleute dagegen bisher stets als „Pelzmantelbrigade“ abgetan.

Zu den loyalistischen Organisationen gehört neben der UVF vor allem die Ulster Defence Association (UDA). Beide stehen nach eigenem Bekunden „loyal zur britischen Krone“. Bei der Wahl ihrer Mittel sind sie nicht zimperlich: UDA und UVF haben in den drei Jahren vor ihrem Waffenstillstand mehr Menschen getötet als die IRA. Seit zwei Jahren haben beide Organisationen einen politischen Flügel: die Ulster Democratic Party (UDP) und die Progressive Unionist Party (PUP), die an den Mehrparteiengesprächen beteiligt sind. PUP-Chef David Ervine gibt sich als Sozialist: „Wir brauchen eine Klassenpolitik“, sagt er. „Wir müssen die Trennungen überwinden, wir sind die nationalistische Arbeiterklasse. Wir sind britische Nationalisten, die sind irische Nationalisten.“

Vor zwölf Tagen haben die britischen Nationalisten von der UVF einen irischen Nationalisten, den Taxifahrer Michael McGoldrick, erschossen, weil er Katholik war. Ervine weigerte sich, die Tat zu verurteilen.

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