Der taz-Sommerroman: "Dumm gelaufen" - Teil 12

Es tanzt der Adolf Hitler, es tanzt der Mussolini, Geschichte wird gemacht, es geht voran

Von den politischen Folgen durch den Tod Herbert Schmackes und warum die Glatzen niemand schlagen will, obwohl sie um Schläge betteln!

Es krawallte. Es randalte. Kommissar Brook smogte der Atem. Brand- und Gasgeruch sperrten seine Nasenwege und penetrierten den Hinterhof. Die Architektur der Wohnblocks war wie verwandelt. Stumm. Und sinister. Und Mauer an Mauer. So wucherten die Häuser lotrecht und drohend in den tintigen Himmel. In der Art wie sich der Hinterhof Brook zu erkennen gab, mit seinen T-Träger-Palisaden, dem Bauschutt und den Betonquadern, mußte Brook Mittelalter denken. Unter seinem Balkon lag die Sandkiste; das Niemandsland, der Todesstreifen, auf dem Polizeihunde in den Sand kackten. Schlachtgesänge hallten in den Tiefen vom Hinterhof. Und alles drehte sich um den Tod von Herbert Schmackes. Sein Tod; ein politisches Fanal. Die Rechten sind immer die Mörder, schrien die Linken. Die Linken haben ihn auf dem Gewissen, gröhlten die Rechten.

Herbert Schmackes, auf Wolken gebettet, hielt aus sicherer Distanz seinen Mund. Ob Ost, ob West! Nieder mit der Nazipest! kletterte es an den Hauswänden hoch. Deutschland, den Deutschen! chorte es zurück. Ruhe da unten, Ruhe da unten, oder wir holen die Polizei! müllerten, meierten und schultzten die Mieter im Schutz ihrer Sozialwohnungen.

Bill Brook lehnte sich weiter über die Brüstung seines Balkons. Er observierte das Ameisen der Autonomen; sie trugen schwarze blanke Helme wie Insektenköpfe. Und die neuen deutschen und gestiefelten Liedgutträger mit den stacheligen Haaren auf ihren Schädeln, denen Brook nicht recht traute, aber von rechts alles zutraute. Dazwischen sehr demonstrativ, aber immerhin demokratisch: ein lautloser Streit der Transparente. Mehr Rasse, mehr Klasse! Grabkisten für Faschisten! Polen, Türken, Libanesen, alle leben von unserem Geld! Auf die Glatzen, bis sie platzen! Laßt uns endlich Feinde sein! Die Polizei hielt sich schon längst auf dem Spielplatz, in der Sandkiste, eine Art politische Mitte auf. Sie stoppten rechts. Sie stoppten links. Sie hielten noch ihre psychologische Ausbildung zurück. Vor ihren Schildern patrouillierten Gesinnungstouristen; aus Hoyerswerda, Kreuzberg, Prenzlau, Mölln und aus den anderen Sumpfgebieten Deutschlands, ihre politischen Masken starr auf den Feind gerichtet. Schon wechselte ein Stein den anderen. Ein Stock sprach sich mit dem nächsten aus. Molotow-Cocktails wärmten die Szene auf. Das Tränengas tauchte alles in ein sanftes Licht. Im Hinterhof verbreitete sich eine unverwechselbare Atmosphäre, Deutschland 93, und alle Parteien schienen sich Heimat zu fühlen, während sie sich die Köpfe einschlugen. Im Schutz der Hauswände priesen fahrende Händler handliche, gebrauchte Pflastersteine aus Berlin an, erfahrene Baseballschläger aus Rostock, frische Asche in Urnen aus Mölln, Kanister voll Benzin, und als Schmankerl gab es bei jedem Verkauf ein Stück Draht aus der Vergangenheit, gratis und unsortiert, aus den Zäunen der Atomkraftwerke in Deutschland. Unterdessen lichterlohte eine Wohnung. Und ein Demonstrant fackelte nicht lange auf. Eine Gruppe Polizisten hustete Gas. Viel Schaum. Viel Schlägerei. Viel Kronen. Fielmann. Die Polizisten holten sich Schläge ab. Ohne Kampf. Und ohne Widerstand. Plötzlich verzog sich die Mannschaft der Ordnungsgewalt für zwei Stunden in die Halbzeit. Hemden, Schilder und Schlagstöcke mußten gewechselt werden. Einige brauchten ein paar Mützen voll Schlaf. Andere ein gepflegtes Bier. Sie ließen die Demonstranten in Stich.

(Fortsetzung folgt)

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