: Tankstutzen live
Wahnsinn: Zum Start des digitalen Fernsehens zeigte Kirchs DF 1 Schumi aus fünf Perspektiven ■ Von Stefan Kuzmany
München (taz) – Verdammt, wer liegt jetzt eigentlich vorne? Auf der Leinwand des Großbildprojektors tut sich endlich wieder was. Ein Mechaniker nähert sich dem rauchenden Rennwagen Gerhard Bergers und schießt Schaum aus einem Feuerlöscher. „Gerade sehen wir wieder etwas, das der RTL-Zuschauer nicht sehen kann“, sagt der Mann von Kirchs digitalem Fernsehen DF 1, der Rest geht im Motorenlärm unter. Irgend jemand hat nämlich schon wieder gezappt, und wir befinden uns in Schumis Cockpit.
Der DF 1-Mann triumphiert über den Krach: „Das ist der Originalton aus dem Cockpit. Im normalen Fernsehen wird das gemischt.“ Daß das hier nicht das normale Fernsehen ist, verkünden schon die die ganzseitigen Anzeigen der Kirch-Gruppe. Demnach war am Sonntag „D-Day“, Invasion des neuen Systems, und Deutschland hat nichts gemerkt. Denn die zum Empfang erforderliche „d-box“ für rund 900 Mark ist erst seit Samstag im Handel.
So sitzen in einem abgedunkelten Raum in Kirchs Unterföhringer Zentrale am Sonntag nachmittag nur die eigenen Mitarbeiter und ein paar Journalisten bei Kaffee und Kuchen, um Schumi auf fünf Kanälen um den Hockenheimring rasen zu sehen. Aber will man diesen Mann eigentlich aus fünf Perspektiven sehen?
Die Kirch-Gruppe meint ja. Denn schließlich „handelt es sich schlichtweg um eine Revolution in der Sportübertragung“, wie das hauseigene „DF 1-Magazin“ frohlockt. Endlich kann das Kind im Manne selbst Regisseur spielen und ab und an ganz lässig in die Boxengasse schalten. Auch wenn es da gerade überhaupt nichts zu sehen gibt. Immerhin müht sich dort ein Extrakommentator mit der Beschreibung der eher tristen Sachverhalte, indem er ausführlich Tankstutzen und die feuerfesten Anzüge der Mechaniker erklärt.
Wegen der unterschiedlichen Kommentare verliert der Zapper zuweilen den Überblick: „... liegt in Führung, aber von hinten nähert sich gefährlich ...“ Zapp zur Boxengasse: „... verläßt gerade die Boxengasse. Die feuerfesten Anzüge ...“ Hä? Wie? Was? Und wer, verdammt, liegt jetzt vorne?
Doch wir wollen DF 1 nicht Unrecht tun: denn wenn sich zwanzig Testgucker eine Fernbedienung teilen müssen, kann das schon mal Verwirrung geben. Und wer eine wichtige Szene verpaßt, kann sich schließlich jederzeit auf dem „Highlight-Kanal“ die Wiederholung anschauen. Schade nur, daß dort die meiste Zeit ein Standbild zu sehen war.
Wer sich allerdings eine neue Übertragungsqualität versprochen hatte, wurde enttäuscht. Oft flimmerten die Bilder, und beim Umschalten gab es störende Schaltpausen. Das seien technische Probleme, die innerhalb der nächsten Wochen gelöst würden, vertrösteten die DF 1-Leute auf das nächste Rennen. Dabei hatte sich die Kirch-Gruppe das Hockenheim- Rennen extra als Feuertaufe für ihr digitales Fernsehen gewählt – denn nur hier gibt es wirkliche Neuerungen. Auf den anderen laufen eher altbekannte Spielfilme aus den Weiten des Kirch-Archivs. Auch nicht schlecht für einen Sonntagnachmittag.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen