■ Daumenkino: Tierische Liebe
Unumwunden geben Ulrich Seidl, der aus Wien stammende Regisseur dieses Films, und seine Assistentin Eva zu, daß es gerade „Menschen eines niedrigen sozialen Milieus“ sind, die „am unverhülltesten“ ihre Zuneigung und Liebe zu ihren Tieren preisgeben. Schnell habe man die Idee „Altes Mutterl mit dickem Hund“ aufgegeben und statt dessen das Land gesucht, wo die Schoßhunde blühen. Eine „archaische Gegenwelt“ haben die beiden in bestimmten Gassis von Wien gefunden und zwei Jahre lang dort Vertrauensverhältnisse aufgebaut, nur so sei es bekanntermaßen „möglich, Menschen in ihrem Intimbereich zu filmen“.
Es handelt sich, wie man deutlich an den grauen Häuserschluchten und den traurig-einsamen Heulkissen der Protagonisten sieht, um einen Aufschrei nach Liebe! Der sich an Hunde, Meerschweinchen und Katzen richtet, weil die Menschen nicht hören wollen! Wie auf bestimmten Berlin-Postkarten wirkt die Gegend sorgfältig zurechtverwahrlost, mit pittoresken Abblätterungsvorgängen, armem Mundwassergurgeln bei nackter Glühbirne und Zungenküssen mit ratlosen Schäferhunden. Andere Dinge, noch ganz andere Dinge werden mit vagen Griffen ans Hundegeschlecht angedeutet, damit der gewisse Flüstereffekt auf Filmfestivals erzielt wird. Gezeigt werden sie aber nicht, damit die Chose noch knapp als Dokudrama durchgehen und nicht auf einem klandestineren Markt als Sodomie reüssieren muß.
Um diese prekäre Balance zu halten, müssen die Akteure ohne Geschichte antreten, und die einzig noch mögliche Entwicklungsrichtung ist die ins noch Dollere, das wieder und wieder durch Kamerafahrten auf dunkle Wohnlöcher und rosa verhangene Zimmerfluchten evoziert wird.
Das Personal könnte einem Jelinek-Stück entstammen, wo der Sex der kleinen Österreicher auch mit dieser Mischung aus Hautgout und Verklärung seziert wird. Ähnlich wie in „Deutschland privat“ oder „Das Sexualleben der Belgier“. Zwei Frühpensionisten: Hubert, der Dicke, und Ernst, der Irre; Franz und Erich, die zwischen Hundekot und albanischen Autoreifen seit Monaten mit ihren Collies oder Kaninchen leben, deren irrer Blick Böses ahnen läßt; Fritzl und Gaby streiten sich, wer wohl dem Frettchen die Hinterbeine gebrochen hat, und eine von Männern frustrierte Schauspielerin hat sich in einen Huskie verliebt.
Werner Herzog, von dem es heißt, er drehe wieder in Mexiko, soll Tierische Liebe mit den Worten kommentiert haben: „Nach diesem Film wissen wir, daß auch die Liebe unter Menschen nur noch der Nachhall von etwas ist, das auf immer verschwindet.“ mn
„Tierische Liebe“. Regie: Ulrich Seidl
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