Medialer Rinderwahn

Unter all den Startschüssen, die in diesen Tagen fallen, hätte ich diesen beinahe überhört. DF1 ist kein neuer Sender, sondern „neues Fernsehen“, sagt die Eigenwerbung. Aber auch wenn sich Leo Kirch und der Bertelsmann-Konzern in letzter Sekunde noch auf einen gemeinsamen Decoder-Standard einigen konnten, sind gerade mal zwei Prozent bereit, sich so etwas anzuschaffen. Bei Decoderpreisen ab tausend Mark und monatlichen Gebühren von zwanzig Mark an aufwärts ist das auch kein Wunder.

RTL-Chef Helmut Thoma gehört mit Sicherheit nicht zu den Querdenkern der Nation. Aber hier brachte er die Sache auf den Punkt und nannte das Ganze einen „medialen Rinderwahn“. Recht hat er. Wer soll das alles produzieren? Für die hundertvierzigste Wiederholung des „Hunds von Baskerville“ und anderer alter Schinken gibt niemand Geld aus – auch dann nicht, wenn sie just in time gesendet wird.

Nein, so etwas brauche ich mit Sicherheit nicht. Aber die Hirnrisse anderer lösen in mir immer ein gewisses Nachdenken aus, besonders wenn sie im Begriff sind, ein paar Milliarden in den Sand zu setzen. Wenn man schon in der Lage ist, 50 oder noch viel mehr digitale Fernsehkanäle über das ganz normale Kabelnetz zu übertragen – dann, denke ich mir,

könnte man diese Technik doch wunderbar dazu benutzen, das Internet für alle verfügbar zu machen. Kein verschnarchtes Modem und kein ISDN – der Internet-Anschluß wäre einfach zu realisieren und in jeder Wohnung so selbstverständlich wie Strom, Wasser und Kabelfernsehen. Die Übertragunsgsraten wären traumhaft, schon beim Versuch, die Bits auszurechnen, die ein einziger digitaler Fernsehkanal pro Sekunde braucht, streikt mein Taschenrechner.

Die Idee ist nicht neu, doch zu Ende gedacht wurde sie von denen, die die Macht und die Mittel dazu haben, bislang nicht. Offenbar setzt man lieber auf den Riesenreibach aus der Fußball-WM 2002, als daß man jetzt und heute den Blick über den Rand der Mattscheibe wagt. Eine preiswerte Decoderbox nur für das Internet – ohne TV-Kanäle, aber mit PC-Anschluß – würde, da bin ich mir sicher, reißenden Absatz finden. Selbst das Problem mit dem Rückkanal für die User-Eingaben ließe sich lösen – etwa durch ein etwas engmaschigeres Netz als beim Kabel-TV. Auch die Abrechnungsdaten könnten damit übermittelt werden. Irgendwann wird es so etwas sicher geben – die Technik ist bereits entwickelt. Nur sind deutsche Medienkonzerne auf diesem Auge blind und überlassen das Geschäft lieber Mr. Gates und Konsorten.