: Ein Knirps – und schon verschaukelt
■ Ab heute hat jedes Kind ab drei Jahre das Recht auf einen Kindergartenplatz. Doch das bleibt Theorie. In der Praxis müssen die Eltern mit Haken und Ösen um die viel zu wenigen Plätze kämpfen – notfalls auch vor Gericht
Berlin (taz) – Alle Drei- bis Sechsjährigen sollen ab heute in einem Kindergarten einen Platz finden können, gesetzlich garantiert. Hört sich gut an – vor allem für die Eltern. Stimmt aber nicht. Tatsächlich wird mit der sogenannten Stichtagsregelung, die heute in Kraft tritt, die Garantie auf einen Kindergartenplatz weiter verzögert.
Der Grund für die Mogelpackung: Bundesweit fehlen nach wie vor 300.000 Kitaplätze. Länder und Kommunen müssen befürchten, daß Eltern ihren Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ernst nehmen und ihn bei den Gerichten einklagen. Der volle Rechtsanspruch gilt deshalb, anders als mit der Neuregelung des Paragraphen 218 beschlossen, erst ab dem 1. Januar 1999.
Mit der Stichtagsregelung werden die Wartezeiten für die Dreijährigen verlängert: Ein Kind, das im Herbst geboren ist, kann erst im darauffolgenden Jahr statt direkt nach dem dritten Geburtstag im Kindergarten angemeldet werden. So sparen die Bundesländer faktisch die Kitaplätze für einen halben Jahrgang ein.
Nur sechs Länder können schon heute eine hundertprozentige Versorgung der Kinder garantieren: Thüringen, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt sowie Berlin und Rheinland-Pfalz. Überhaupt keinen Anspruch auf einen Kindergartenplatz gibt es in Bayern: Dort gilt weiter das Landesrecht. Schlußlichter bei der Versorgung der Drei- bis Sechsjährigen sind die Länder Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Sie können nur ungefähr 70 Prozent der Kinder unterbringen.
Und selbst für diese Teilversorgung wurde die Vorgabe des Gesetzgebers, ein „bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsplätzen vorzuhalten“, noch ausgehöhlt. In Niedersachsen beispielsweise gilt nun auch ein Platz in einer Nachmittagsgruppe als vollwertiger Kitaplatz. In Berlin bekommen Drei- bis Sechsjährige nur noch dann einen Halbtagsplatz, wenn ein Elternteil arbeitslos ist. Andernorts werden die Gruppen in den Kitas vergrößert oder neue Halbtagsplätze für Dreijährige auf Kosten von Hort- oder Krippenplätzen für ältere und jüngere Kinder geschaffen.
Auch an der Art der Betreuungsangebote ändert sich mit der neuen Rechtslage wenig. Anders als im Osten gibt es im Westen noch immer viel zuwenig Ganztagsplätze; die Versorgung auf dem Land ist dabei deutlich schlechter als in der Stadt. bm Tagesthema Seite 3
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