Freispruch für SS-Offizier Priebke

■ Ein italienisches Gericht spricht den Mann frei, der 1944 an der Ermordung von 335 Menschen in den Ardeatinischen Gräben bei Rom beteiligt war. Die Richter entschieden: Befehlsnotstand – die Tat sei daher verjährt

Rom (taz) – Mit heftigen Protesten quittierten die vom Gerichtspräsidenten Quistelli aus dem Sitzungssaal „vorsorglich“ ausgesperrten Hinterbliebenen des SS-Massakers an 335 Geiseln bei Rom 1944 das Urteil des Militärtribunals: Der SS-Offizier Erich Priebke (83) wird freigesprochen.

Zwar habe der SS-Mann bei der vom SS-Obersturmbannführer Herbert Kappler auf Hitlers direkten Befehl vorgenommenen Auswahl der Geiseln ebenso wie bei deren Erschießung aktiv teilgenommen, daher sei er des „mehrfachen Mordes“ schuldig. Jedoch habe der Angeklagte sich in einem Befehlsnotstand befunden, daher seien mildernde Umstände gerechtfertigt.

Die nicht geklärte „Arbeitsteilung“ zwischen den SS-Leuten mache auch nur eine „Beihilfe“ und nicht die „Haupttäterschaft“ wahrscheinlich. Anders als bei einer Haupttäterschaft verjähren diese Verbrechen. Priebke könne deshalb trotz seiner objektiven Schuld strafrechtlich nicht mehr belangt werden. Der Haftbefehl sei daher sofort aufzuheben.

Der Richter folgte damit nicht der Staatsanwaltschaft, die den 83jährigen des „mehrfachen, besonders grausamen Mordes“ beschuldigte. Priebke konnte das Gericht als freier Mann verlassen. Der Verteidiger des Angeklagten hatte argumentiert, sein Mandant habe nur Befehle ausgeführt. „Dieser Mann ist kein Nazi mehr, sondern nur ein Mensch, der zur damaligen Zeit überzeugt war, rechtmäßigen Befehlen zu gehorchen“, sagte Anwalt Velio Di Rezze.

Tatsächlich war Priebke nicht der Geiselerschießungen selbst angeklagt gewesen – obwohl Staatsanwalt Intelisano dies am Ende seines Plädoyers noch einmal so darzustellen versuchte –, sondern nur des Mordes an fünf „überzähligen“ Geiseln: Hitler hatte als Repressalie für ein Attentat kommunistischer Partisanen auf eine Polizeieinheit die Erschießung von zehn Italienern pro getötetem Polizisten angeordnet – das wären 330 gewesen. Umgebracht wurden in den Ardeatinischen Höhlen vor Rom jedoch 335. Priebkes Chef Kappler war nach dem Krieg daher zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden.

Dem Staatsanwalt bleibt nun die Revision. Um Priebke nicht die Flucht zurück nach Argentinien zu ermöglichen, wo er vor zwei Jahren aufgespürt und nach einem zwölfmonatigen Juristengefecht nach Italien ausgeliefert worden war, hat der Ankläger sofort auf ein Auslieferungsbegehren deutscher Staatsanwaltschaften verwiesen: Die wollen Priebke ebenfalls vor Gericht stellen. Die Staatsanwaltschaft in Dortmund hat einen Haftbefehl gegen Priebke ausgestellt.

Der frühere SS-Offizier war am 21. November 1995 von Argentinien, wo er Jahrzehnte unbehelligt lebte, an Italien ausgeliefert worden. Bei der gestrigen Urteilsverkündung lächelte Priebke kurz. Werner Raith