: Sachlich wie die „Tagesschau“
■ Bremer Presseforscher katalogisierten Zeitungen von den Anfängen bis 1815/ 40 Bände geplant
Man muß schon Forscher aus Leidenschaft sein, um eine solche Arbeit zu leisten. Sämtliche periodischen Schriften der Stadt Hamburg, von den Anfängen bis 1815, hat Holger Böning, Literaturhistoriker an der Bremer Uni, zusammen mit seiner Kollegin Emmy Moepps katalogisiert. Kein leichter Lesestoff für Laien. Historikern hingegen sollen die bibliographischen Handbücher einen gezielten Zugang zu Recherchematerial ermöglichen.
Obwohl im ersten Band, der dreiTeilbände umfaßt, lediglich die Hamburger Zeitungen aufgeführt sind, durchstöberten Böning und Moepps jahrelang Archive in ganz Deutschland. Hamburger Zeitungen, Zeitschriften, Intelligenzblätter, Kalender und Almanache wurden gesichtet, deren Standort verzeichnet und mit Kommentaren versehen. Neben den Quellenangaben geben die Forscher außerdem wichtige entwicklungsgeschichtliche Ergänzungen.
Nicht mehr verzeichnet werden konnten in dem 1.300-seitigen Werk, an dem Forscher vier Jahre gearbeitet haben, die Vorläufer der Zeitungen, die sogenannten Zeitungsbriefe, die an einen sehr kleinen Kreis von Beamten und Hofangehörigen verteilt wurden. Die Zeitungsbriefe sind schlicht unauffindbar. Die Bremer Presseforschung wies unlängst nach, daß die erste Zeitung 1605 in Straßburg in Druck ging, in Hamburg erst 1618 – und damit gute 150 Jahre nach Gutenbergs Entdeckung der Druckerpresse. Deutschland brachte nicht nur die erste Zeitung heraus; bald entstanden zahlreiche Redaktionen.
Auf 40 Bände ist die von Holger Böning herausgegebene Bibliographiereihe angelegt. Gerade Hamburg, Objekt der Forscherbegierde im ersten Band, entwickelte sich neben Leipzig sehr schnell zur Pressemetropole. Die Forscher führen dies auf Hamburgs Funktion als Handels- und Kaufmannsstadt zurück. Als Knotenpunkt von Postwegen war es den Redaktionen leicht, mit ihren zahlreichen Korrespondenten zu kommunizieren. „Die einlaufenden Nachrichten aus London oder Paris wurden im wesentlichen unkommentiert abgedruckt. Jedem Interessierten war es so möglich, sich über die wichtigsten europäischen Ereignisse zu informieren,“ so Böning, der die damaligen Zeitungen in ihrer Sachlichkeit gerne mit der heutigen „Tagesschau“ vergleicht.
Und auch Werbung gab es schon in den ersten Zeitungen. Aber: „Kam noch im letzten Augenblick eine wichtige Nachricht ein, flog die Anzeige raus“, so Böning.
Zensoren fanden ebenfalls eine Beschäftigung in den Redaktionen. Sie hatten in erster Linie den Auftrag, die Berichterstattung aus der eigenen Stadt zu unterbinden. Konsequenz: Zeitungen aus anderen Gegenden waren beim Hamburger Leser umso beliebter.
„Keine andere schriftliche Überlieferung sagt so viel über das alltägliche Leben der Menschen aus,“ sagt Presseforscher Böning.
Luigi La Grotta
Holger Böning, Emmy Moepps (Hg.): „Deutsche Presse – Bibliographische Handbücher zur Geschichte der deutschsprachigen periodischen Presse von den Anfängen bis 1815. Band 1. Hamburg. ISBN 3 7728 1590 1/1591 X/17637 7. Einzelband 460 Mark.
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