■ Ungerechtigkeit ist Gerechtigkeit: Das kleine psychologische Hexeneinmaleins der Sparpakete
: Sparblut, Sparschweiß & Spartränen

Das Sparpaket ist eine Gemeinheit. Es trifft die Falschen. Und zwecks Verdoppelung des Zynismus müssen die Falschen sich auch noch sagen lassen – und glauben's auch irgendwie –: Nur wenn die Falschen getroffen werden und die Richtigen verschont bleiben, nur dann werden die Richtigen so nett sein, von ihrem Blühen, Wachsen und Sichdummverdienen was abzugeben.

Freilich gibt es Widerstand gegen die Segnungen des Sparpakets. Die Gewerkschaften kämpfen verbittert, die Sozialdemokraten konfus. Doch im Herzensgrund wissen alle Beteiligten: Nie mehr werden alle Arbeit finden.

Das perverse Paar Ökonomie und Technologie hat, je inniger die beiden sich vereinigen, ein desto paradoxeres Befruchtungsresultat, nämlich immer weniger Arbeitsplätze. Die moderne Technologie ist die Pille für die Ökonomie: Nachwuchs unerwünscht.

Die Geschichte der Sparpakete sollte einmal geschrieben werden als eine des peinlichen Masochismus der nichtbesitzenden Bevölkerung. Nur so ist nämlich deren lahmer Widerstand zu erklären, diese Mischung aus Ärger, Ohnmacht und Lust am Niedergespartwerden.

Ja, es ist nackter Masochismus. Sieht's denn nicht aus, als ob die Leute geradezu wollüstig aufstöhnen, wenn sie gedeckelt werden durch Sparen an ihnen – egal wie ungerecht? Endlich einmal wird nicht alles laufen gelassen, endlich einmal wird durchgegriffen, endlich regiert.

Daß der Griff an die Kehlen der kleinen Leute geht; daß Regiertwerden immer heißt: ungerecht regiert werden, gedrückt und ums Geld gebracht werden – das versteht sich doch von selbst, das ist Volksweisheit.

Die Demokratie hat's gemildert. Hoch die Sparpaketdemokratie! Da müssen schon Opfer erbracht werden. Nimmer Blut und Tränen, nur noch Sparblut und Spartränen, ganz friedlich und gewaltlos.

Das gibt schon irgendwo ein gutes Gefühl innen drin. Welch Fortschritt: So schön hatten's die bösen Kapitalisten schon lange nicht. Kein noch böserer Weltkommunismus mehr da. Welch Vergnügen, sich an den Windungen der hilflos zartrosa Sozis zu weiden.

Das ist das aufgelöste Rätsel des Sparpakets: Je reicher die Gesellschaft, desto unfinanzierbarer wird deren Sozialstaat. Als „wir“ noch erheblich weniger reich waren, konnten wir uns den Sozialstaat leisten, weil wir ihn uns leisten mußten. Ohne Ruhigstellung durch den Sozialstaat plus Vollbeschäftigung plus Wohlstand wäre nämlich der Sozialismus/Kommunismus-Kannibalismus über uns gekommen, blablabla.

Jetzt aber die Sparpaketidylle: Erstens sieht durchaus jedermann ein, daß gespart werden muß, ist doch klar. Zweitens sehen ausreichend viele brave Bürger ein – unbeschadet oberflächlicher Wut sehen sie's ein in ihren tiefsten Seelen –, daß nicht anders gespart werden kann als ungerecht.

Ungerechtigkeit muß sein, auch bei uns. Vom Sparpaket müssen alle getroffen werden, außer jene, die man halt nicht treffen kann: Weil sie sonst ärgerlich werden und den heiligen Standort Deutschland verlassen. Der Standortnationalismus ist der einzig korrekte Nationalismus.

Drittens und weil's ja jetzt schon wurscht ist: Bedanken wir uns doch bei denen, die das Sparpaket nicht treffen kann und darf. Ungerechtigkeit ist Gerechtigkeit – das ist das Hexeneinmaleins des Sparpakets. Denn indem wir die Nichttreffbaren nicht treffen, schaffen sie uns – als Gegenleistung – Wirtschaftswachstum.

Und durch Wirtschaftswachstum geht's uns allen besser, ihnen insbesondere, aber uns auch irgendwie, vielleicht und angeblich, und die Natur soll doch schauen, wo sie bleibt, samt den blöden Natur- und Umweltschützern.

Sado-Maso-Sparo. Auf den Masochismus der Niedergesparten, die auch noch alles einsehen, antwortet der Sadismus der Nichtniedergesparten, die gar nichts einsehen, außer daß sie verschont und begünstigt bleiben müssen. Je einsichtiger die Besparten, desto unverschämter die Verschonten.

Oh, schöne neue Welt aus lauter Sozialschmarotzern, Mißgeburten des Sozialstaates, Arbeitsunwilligen, Impotenzlern, die nicht imstande sind, einander im gesunden Konkurrenzkampf gesund niederzuhauen. Ohne Mythos geht's eben nicht.

An die Stelle des verstorbenen Antikommunismus tritt ein ebenso bornierter, ebenso erfolgreicher antisozialer Kapitalismus mit stark sadistischem Einschlag. Er will alles beseite räumen, was ihm einst hilfreich war, um im Ost-West- Konflikt zu bestehen und zu siegen. Der Sozialstaat, einst gehätschelter Schutzwall gegen den Kommunismus, ist ihm jetzt nur noch Schutt und Schrott.

Unter dem schneidigen Angriff des Sadokapitalismus und ohne Hilfe seitens einer Linken – gleich welcher Art, jede Art wäre willkommen – zerbröckeln und zerbröseln die immerhin noch beachtlichen Reste sozialer Gesinnung und sozialer Institutionen.

Die Antwort auf die diversen Sparpakete – nicht nur in Deutschland und Österreich, auch in den sonstigen EU-Staaten – ist vorläufig nicht die mehrheitlich zähneknirschende Abwehr aktivistischer Art, sondern der perverse Lustgewinn durch Niederregiertwerden.

Die Tiefenpsychologie kennt die enge sadomasochistische Bindung, die zwischen Tätern und Opfern zustande kommt, wenn wirksame Abwehr ideeller und realer Art nicht verfügbar ist.

Sparen als bürgerlich-individuelle Tugend ist eines. Das mythische Sparen des Staates zugunsten eines heilbringenden Kapitalismus ist ein anderes. Aber eines haben beide Formen des Sparens doch gemeinsam: Das Klima des Sparwahns erzeugt die giftigen Tugenden von Geiz und Neid, allgegenwärtig wechselseitiger Mißgunst und Niedertracht.

„Entsolidarisierung“ ist das alte linke Wort hierfür. Doch wehe einer Linken, die sich mit solchem Vokabular gegen die „eigenen Leute“ wendet: gegen das hilf- und schutzlos gewordene Volk. Statt sich schleunigst die theoretischen und praktischen Kampfmittel zu schaffen für einen grundstürzend neuen Sozialismus.

Die oben lachen. Vorläufig. Günther Nenning