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Pharaonengrab der Moderne

■ Heute wird die neue Hamburger Kunstinsel von Oswald Mathias Ungers dem Direktor Uwe M. Schneede übergeben

Das Außen

Heute wird Hamburgs neues Museum für zeitgenössische Kunst in einer Feierstunde offiziell dem neuen Hausherrn übergeben. Bereits gestern führten Architekt Oswald M. Ungers und Kunsthallendirektor Uwe M. Schneede die Journalisten durch das fast fertige Gebäude. Und dabei fiel eins besonders auf: Ungers ist ein Titan.

Denn der Architekt des Würfels zwang bei der Beschreibung seiner Baukunst Unmögliches zusammen, bis es als das Selbstverständliche und Schöne erscheint. Ohne mit der Wimper zu zucken fanden sich Vokabeln zu Sätzen verknüpft, von deren Verwandtschaft bis heute nichts bekannt war. So etwa „zurückhaltend“ und „Revolutionsarchitektur“. Dazu muß man wissen, daß der französische „Revolutions“-Architekt Etienne Boullée, den Ungers als Referenz anführte, durch Entwürfe von einer Gigantomanie berühmt wurde, die Menschen zur Waldameisengröße degradiert. Zwar findet sich von dieser Architekturauffassung durchaus einiges bei dem Kölner Architekten wieder, aber was ist daran bitte „zurückhaltend“?

Auch Bemerkungen wie die, daß seit dem klassizistischen Museumsentwurf von Klenze für die Münchner Pinakothek „der Museumsidee nicht mehr viel hinzuzufügen sei“, kann man nur als Diffamierung anderer Museumskonzepte verstehen, oder als überaus rasterhafte Wahrnehmung der jüngeren Architekturgeschichte.

Was aber ist nun dran an der von Ungers so vielgepriesenen „Bescheidenheit“ seines Bauwerkes. Als erstes fällt auf, daß die „selbstverständliche Einfügung“ seiner „idealen Form“ in den bestehenden Kontext keineswegs gleichberechtigte Brüderlichkeit meint. Vielmehr hat Ungers seinen Bau gegenüber den beiden alten Kunsthallengebäuden auf einem merklich höheren Niveau plaziert. Aus allen Perspektiven dominiert und überragt der Würfel seine Vorgänger optisch beträchtlich.

Durch den solitären Charakter, die aufdringlich simple und verschlossene Form und die Inszenierung seines Bauwerkes auf einem monumentalen Sockel aus rotem Granit verfestigt sich der Eindruck, den auch schon die Ungers-Modell-Ausstellung in der Rotunde vor zwei Jahren hervorrief: Hier will ein Haus Skulptur sein.

Von Ungers wiederholt geäußerter „Bescheidenheit“, seine Architektur würde – natürlich im Gegensatz zu allen anderen zeitgenössischen Museumsarchitekturen – nur der Kunst dienen, kann keine Rede sein. Dieser Bau ist – wie jeder Repräsentationsbau – das Symbol einer bestimmten Gesellschafts- und Kunstauffassung, und als solches setzt es geistige Grenzen.

Die ganze rückwärtsgewandte Legitimation Ungers für seinen Formwillen – Klassizismus und davor – findet ihr Echo in der Unfähigkeit, seine Quadrat-Manie abzustreifen, um den Tendenzen aktuellen Kunstschaffens zu flüssigen, virtuellen und unhaptischen Werken einen Ausdruck zu geben – womit die Architektur auch eine Perspektive für das Museum formulieren könnte. Sein perfekt ausgeführter Minimal-Art-Container ist dagegen die Behauptung ewiger Werte und erklärt seinen Erfinder zu einem Biedermeier der Moderne.

Die riesige begehbare Skulptur zwischen alter und neuer Kunsthalle, ein ebenfalls revolutionsarchitektonisch zu verstehender „Pyramidenstumpf“ mit einem Schriftband von Ian Hamilton Finley, unterstreicht die restaurative und unkommunikative Geste des Architekten. Denn die Fläche ist als Platz vollkommen unbrauchbar. Im Prinzip der steinöden Erhabenheit macht sie den Sieg des Konzeptes über den Dialog jedem fühlbar, der hier verloren und dumm rumstehen muß. Doch was stört das den Titanen? Till Briegleb

Das Innen

Betritt man den Neubau der Hamburger Kunsthalle aus der alten Gebäudegruppe, nimmt man eine fast unscheinbare Tür im Café Liebermann. Von hier führt ein langer, gruftartiger Gang hinab in das Reich der Gegenwartskunst. Und die ist eine ernste Sache, was am Übergang von alt zu neu die moralischen Laufschriften, die Jenny Holzer demnächst hier installiert, noch unterstreichen werden.

Unter dem gesamten „Pyramidenstumpf“ ist im Keller ein labyrinthisch wirkender Ausstellungsbereich entstanden. Das bemerkte auch Jannis Kounellis kritisch, als er hier eine Arbeit einrichtete. Schwer und düster ist auch die Arbeit von Richard Serra, der tagelang geschmolzenes Blei in die Ecken schleuderte. Auch gibt es in dem neuen Hades der Kunsthalle eine ganz besondere Naßzelle: der Raum der „Tropfsteinmaschine“ von Bogumier Ecker, die künstlich für die Rückführung der Architektur in eine Grotte sorgt, allerdings in Jahrtausenden.

Kommt man auf diesem Weg zum Hochbau, beeindruckt der helle Innenhof der neuen Kunstkiste. Bistro, Buchladen und zweiter Eingangsbereich, alles rundumverglast, werden die Stimmung im Erdgeschoß wieder leichter machen. In den drei oberen Stockwerken erschließen sich über eine doppelläufige Treppe auf identischem Grundriß drei verschieden belichtete Bereiche: Seitenlicht, Kunstlicht und Oberlicht.

Alle drei Lichtsorten schätzt der Museumsmann für unterschiedliche Zwecke: Plastik soll vom Licht nachmodelliert werden, Malerei hinreichend hell sein, Zeichnung braucht sanftes Kunstlicht und Video gar keins. Und so werden die Stockwerke später dann auch aufgeteilt: erst Objekte der neueren deutschen Kunst, dann Lichtempfindliches oder Videoprojektionen wie „Anthro/Sozio“ von Bruce Naumann und oben Malerei von Baselitz, Polke und Richter.

Die bis ins letzte Detail quadrierte Architektur ist tragend nur in Außenhülle und Kern. Alle Zwischenwände sind mit minimalem Aufwand zu ändern, um andere Bespielungen zu ermöglichen.

Die Museumsräume bieten keinerlei Extravaganzen, sie stellen in dienender Zurücknahme Platz für die Kunst zur Verfügung. Und doch wirkt dies am Ende des Jahrhunderts seltsam konservativ. Längst hat die Kunst Gefallen daran gefunden, ungewöhnliche Orte anzunehmen, breitet sich in Fabrikräumen, Tunnels, Burgen und Videocafés aus. Hier aber werden ihr neutrale White-Cubes, rechtwinklige Ablagen für richtige, gesicherte Kunst geboten. Witz und Kraft muß also allein aus den Werken kommen, damit das neue Museum nicht schon bei seiner Eröffnung im nächsten Februar so wirkt, als sei es schon immer dagewesen.

Auch wenn auf dem „Pyramidenstumpf“ die schönen Worte des Revolutionärs St. Just in der Fassung des schottischen Künstlers Ian Hamilton Finlay prangen: „Heimat ist nicht das Land, sie ist die Gemeinschaft der Gefühle“, sind es eher karge Gefühle, die sich auf diesem granitenen Pharaonengrab der Moderne einstellen. Hoffentlich werden wenigstens Hamburgs Skateboarder den Raum bald für ihre Interpretation von Leben entdecken.

Hajo Schiff

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