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Linke und Freaks rufen nach der Polizei

Sternschanze: „Erste-Hilfe“-Ini bekämpft die Angst vor der Drogenszene  ■ Von Ulrike Winkelmann

„Jedes Treffen fängt mit Betroffenheit und Wut an“, berichtet Anne Knaack von der Stadtteil-Initiative „Erste Hilfe für die Sternschanze“. Besonders die Eltern aus dem Schanzenviertel – sie selbst auch – seien sehr aufgebracht über die Ausbreitung der Drogenszene im Schanzenpark.

„Wir hatten immer Drogen im Viertel“, erzählt Knaack. Seit knapp mehr als einem Jahr jedoch sitzen im Schanzenpark nicht mehr nur die Haschgrüppchen und -klübchen. Eine „harte“ Heroin- und Koks-Szene mit schwarzafrikanischen Dealern trifft sich vor allem vor dem S-Bahnhof und verteilt sich über den Park.

Junkies setzen sich ihren Schuß am Spielplatz, Kindern wird auf dem Schulweg Stoff angeboten, besonders Frauen fühlen sich belästigt, wenn sie durch den S-Bahnhof hindurchmüssen: Die Empörung im Viertel ist groß, die Leute haben keine Erfahrung im Umgang mit einer zunehmend aggressiveren Drogenszene.

„Es ist sehr schwer“, sagt Knaack, „alle Meinungen unter einen Hut zu bringen“. Die Ausländerfeindlichkeit habe zugenommen, weil das Problem der Dealerei mit der Hautfarbe der Dealer vermischt werde. Bürgerwehrgedanken seien entstanden, „selbst ehemalige Linke und Freaks rufen nach der Polizei.“

Die Polizei hat nicht lange auf sich warten lassen. Sie gibt sich drogenpolitisch eher fortschrittlich und kümmert sich um die Ini. Das Schanzenparkfest „Phönix aus der Asche“, mit dem die „Erste Hilfe“ sich Mitte Juni den Park „zurückerobern“ wollte, wurde von den Beamten der Wache 17 nicht nur mitgestaltet, sondern schließlich eher „beherrscht“. Das meint jedenfalls Rotflorist Andreas. Eine Gruppe aus der Roten Flora, die sich des neuen Drogenproblems annimmt, steht der „Ersten Hilfe“ skeptisch gegenüber. Sie habe ein zu naives Verhältnis zur Polizei und müsse sich vor rassistischen Tendenzen hüten: „Es ist schon auffällig, daß sich jahrelang kein Schwein um den Park kümmert, und kaum stehen da 50 Schwarze, gibt's auch schon eine Ini.“

Die „Sicherheitspartnerschaft“ von AnwohnerInnen und der Polizei wird von vielen im Viertel mißtrauisch beäugt, schließlich ist die Drogenszene in der Schanze erst entstanden, seit die Polizei in St. Georg mit Ingewahrsamnahmen und Platzverweisen die Junkies und Dealer rings um den Hauptbahnhof zu vertreiben versucht.

„Wanderungsbewegungen haben wir immer gehabt“, bestreitet Dieter Suckert, Erster Polizeihauptkommissar in der zuständigen Wache 17 in der Sedanstraße, den Zusammenhang zwischen der Repression in St. Georg und der Etablierung der Szene in der Sternschanze. Suckerts Ansicht nach ist der Park zwar eine „offene“, aber „noch keine offene verfestigte Drogenszene“: Es werde zwar offen gedealt und konsumiert, aber nicht im selben Maße wie am Hauptbahnhof, und auch nicht von immer denselben Leuten. Das Engagement der Wache 17 – acht Mitarbeiter „betreuen“ seit April den Park – diene in erster Linie der Wiederherstellung des „Sicherheitsgefühls der Bürger“.

„Wir haben zu fünfzig Prozent Hauptbahnhof-Leute“, berichtet Rainer Schmidt aus dem Vorstand des Vereins „freiraum“, der seit August 1995 die Beratungsstelle FixStern am Schulterblatt betreibt. Die Leute vom FixStern versuchen, in den Worten des „freiraum“-Koordinators Norbert Dworsky, „Akzeptanzarbeit“ zu leisten: „Wir wollen die Wogen glätten, bevor sie allzuhoch schwappen.“

Die Ängste der AnwohnerInnen seien verständlich, aber natürlich müsse allen klargemacht werden, daß man weder mit einer „Dealer verpißt euch“-Kampagne ohne Beteiligung der Polizei weit komme, noch indem man von der Polizei verlange, das Drogenproblem zu lösen. „Die Ini braucht ein drogenpolitisches Konzept“, sagt Schmidt. Es müsse „im wesentlichen Druck über die Straße“ gemacht werden: gegen die Ächtung des Drogenkonsums, für die Freigabe von Drogen und für eine Ausweitung der Substitution.

Ähnlich wie die Junkies in St. Georg ihren Raum hinter dem Automuseum gefunden hätten, müßte sich auch in der Sternschanze ein Ort finden lassen, wo eine Drogenszene duldbar wäre. „Diesen Platz“, sagt Dworsky, „muß man sich am runden Tisch überlegen“ – mit Ini, Drogenberatungsstellen und Polizei.

Nächstes Treffen der „Ersten Hilfe“: 13. August, 19.30 Uhr im Gemeindesaal der Christuskirche

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