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Alles muß raus

■ Die Kunsthalle wird geräumt. Doch wie transportiert man Alte Holländer? Mit Handschuhen und viel Liebe

„Bißchen mehr Luft!“, zitierten wir Kunsthallen-Kustodin Dorothee Hansen in einer Reportage über die Hängung der Liebermann-Ausstellung im Dezember vergangenen Jahres. Auch Gemälde brauchen Raum zum Atmen um sich. Jetzt gilt die gegenteilige Parole. Jeder Zentimeter Stauraum wird ausgenutzt, um das gesamte Inventar der Kunsthalle – 1.300 Gemälde, 500 Skulpturen und 230.000 Graphiken – im zum Depot umgerüsteten Anbau der Kunsthalle zu lagern. Seit zehn Tagen schon werden die empfindlichen Kunstwerke aus den Ausstellungsräumen ausgelagert, damit die Umbauarbeiten beginnen können. Bislang wollte man dabei unter sich bleiben: Sicherheitsbedenken.

Gestern nun öffnete man erstmals die Pforten, um zu demonstrieren, wie etwa ein Gerbrant van den Eeckhout aus dem 17. Jahrhundert von seinem Stammplatz ins Magazin abgeschoben wird – mit Glacéhandschuhen und viel Liebe. Mittels einer langen Stange mit speziell gebogenem Haken an der Spitze werden die Bilder zunächst von ihren Aufhängungen gelöst, langsam an Seilen heruntergelassen, dann packen zwei Mitarbeiter auf der Trittleiter zu, halten den in drei Meter Höhe plazierten Alten Holländer am Rahmen fest; ein dritter stützt von unten ab. Baumwollhandschuhe sind Pflicht, Hautschweiß kann den Rahmen angreifen. Wie überhaupt jede Bewegung den Bildern zuviel ist und die Leinwände ins Flattern bringen könnte. Folge: „Farbschollen“ fallen ab, wie Kunsthallen-Öffentlichkeitsarbeiter Willy Athenstädt erklärt. Deshalb wird die Kunst bewegt wie ein Patient auf der Intensivstation. Kaum ist Eeckhouts „Samson und Dalila“ glücklich zu Boden gelassen, wird der Rahmen mit einem Staubsauger mit Aktivkohlefilter gesäubert und umgehend auf dem Rollwagen, der mit Decken gut gepolstert ist, ins Magazin transportiert. Dort dienen mannshohe Holzrahmen, auf die herkömmlicher Jägerzaun aufgespannt ist, als Zwischenlager. Es sei unmöglich gewesen, „für eine so große Menge Kulturgut ein Lager zu finden“, sagt Athenstädt. Ein neues zu bauen, hätte 1,5 Millionen Mark verschlungen. Also hat man die eigenen Räumlichkeiten nutzen müssen und „extrem verdichtet“; trotzdem ist jedes Stück noch zugänglich. Im Vortragssaal der Kunsthalle stapeln sich auf einer zweigeschossigen Holzkonstruktion die Skulpturen; im Keller schauen sich die Werke von Liebermann, Corinth und den Worpswedern tief in die Augen, zwischen den dicht behängten Stellwänden ist gerade mal noch Platz zum Durchgehen.

Bewegt haben die Angestellten der Kunsthalle fast alles selbst. Bloß bei den sehr großen Formaten tritt „Hasenkamp“ in Aktion, einer der größten Kunstspediteure mit Sitz in Köln. Hasenkamp baut gepolsterte Tragekisten nach Maß, 5.000 Mark kosten die schon mal pro Stück. Nichts im Vergleich zum Verlust durch einen schlecht verpackten und versehentlich abgestürzten Rembrandt. Und überhaupt die Werte: Auf 1,5-1,8 Milliarden Mark schätzt Athenstädt den Wert des Kulturgutes, das sich zur Zeit in den Magazinen der Kunsthalle ballt. Genau könne das keiner sagen. Der Wert fluktuiert: Im 19. Jahrhundert galt Dürer noch als zweite Wahl. Das Gebäude selbst, sagt Athenstädt, sei der „billigste Teil“. Kunsthallen-Angestellter Werner Schüller macht die Größenordnung augenfällig, als er die leergeräumten Tresore aufschließt, wo die Dürer-Aquarelle lagerten. „Zwei oder drei von denen“, glaubt Schüller, „hätten gereicht, um den Kunsthallen-Umbau zu finanzieren.“ Der kostet immerhin 21 Millionen Mark.

Nicht nur wertvoll ist die Kunst, auch gewichtig. Selbst das Papier der vielen Drucke aus dem Kupferstichkabinett wiegt tonnenschwer. Eilig hinzugezogene Statiker gaben Entwarnung: Die Decken tragen mehr als 1.000 Kilogramm pro Quadratmeter. Das reicht aus.

Nächste Woche wird „Hasenkamp“ noch die Großformate in den Keller schaffen, dann beginnt der Umbau, genau nach Zeitplan. Im Herbst '97 kommt die Technik – Alarmanlagen, Klimageräte, Bewegungsmelder etc. – ins Haus, dann halten die Exponate ihren zweiten Winterschlaf. Im mehrmonatigen Testlauf wird geprüft, ob sich die Bilder wohl, und sicher fühlen in den neugestalteten Hallen. Dann erst, im Frühjahr '98, wird die Kunst wieder ausgestellt, und Kustodin Dorothee Hansen darf wieder anweisen: „Bißchen mehr Luft!“ Alexander Musik

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