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Mordgeständnis der Polizei zuliebe

Michael Mager legte vor zwölf Jahren mit Hilfe der Polizei ein falsches Geständnis ab. Nachdem Serienmörder Rung verurteilt wurde und Mager sechs Jahre unschuldig in Haft saß, hofft er auf Freispruch  ■ Von Barbara Bollwahn

Eine Frage wird Michael Mager den Rest seines Lebens beschäftigen: Warum habe ich eine Tat gestanden, die ich nicht begangen habe? Was schon für das Gericht kaum nachvollziehbar ist, wird für den unsicheren Mann mit der zerrütteten Kindheit, der Sonderschulerziehung, der Spielsucht und sechs Jahren Gefängnis für einen nicht begangenen Mord wohl immer ein Rätsel bleiben.

Der 33jährige Straßenreiniger hatte im Oktober 1983 gestanden, seine 77jährige Vermieterin Melanie Scharnow umgebracht zu haben. Die Ermittler hatten in deren Wohnung einen von Mager unterschriebenen Schuldschein gefunden. Den zermürbenden, tagelangen Verhören mehrerer Polizeibeamter hielt der Mann mit dem geringen Intelligenzquotienten nicht stand. Seiner Aussage, daß er an diesem 13. Oktober 1983 lediglich an der Tür seiner Vermieterin geklingelt habe, um sich erneut ein paar Mark zu borgen, schenkten die Ermittler keinen Glauben. „Dann hab' ich mich irgendwie verhaspelt“, sagte Mager.

Seit gestern wird vor dem Landgericht das Verfahren gegen das Opfer eines klassischen Justizirrtums neu aufgerollt. Serienmörder Thomas Rung hatte vor einem halben Jahr gestanden, Melanie Scharnow und vier andere Menschen umgebracht zu haben. „Da sind wir auf den Hintern gefallen“, sagte gestern ein Beamter. Erschrocken habe er zu Rung gesagt, „erzählen Sie keinen Unsinn, da ist ja schon jemand verurteilt worden“. Mager hatte vor zwölf Jahren eine achtjährige Jugendstrafe erhalten und war nach sechs Jahren entlassen worden. Serienmörder Rung wurde im März diesen Jahres wegen fünffachen Mordes zu zweimal lebenslänglich abgeurteilt. Im Unterschied zu Magers Geständnis stimmten die Schilderungen von Rung, die er in einer Lebensbeichte gemacht hatte, bis ins letzte Detail und sprudelten nur so aus ihm heraus. „Wir konnten gar nicht so schnell mitschreiben, wie er erzählte“, so der Beamte.

Doch die Beamten, an die Mager vor zwölf Jahren geraten war, wähnten sich von Anfang an auf der richtigen Fährte und nahmen ihn in die Mangel. „Jeder stellte seine Fragen so verzwickt“, sagte Mager gestern, „daß ich irgendwann erzählt habe, ich sei in der Wohnung gewesen.“ Als die von ihm angegebene Tatzeit den Beamten nicht ins Konzept paßte, tat er ihnen den Gefallen und korrigierte die Uhrzeit, obwohl er nachweislich auf dem Sozialamt war. Was für einen Teufel auch immer Mager geritten hat, er fand keinen Ausweg mehr aus dem Labyrinth, in das er mit Hilfe der Beamten geraten war. Er erzählte ihnen nicht nur, sich gewaltsam Zutritt zu der Wohnung verschafft und die alte Frau brutal erschlagen zu haben. Einmal dem Druck der Vernehmungen ausgeliefert, dachte er sich immer mehr Lügen aus.

Auf die Frage des Richters, warum er sich wider besseren Wissens so belastet habe, zuckte Mager mit den Schultern: „Ich weiß es nicht. Ich habe einfach irgendwas erzählt. Später im Prozeß, als sein Pflichtverteidiger ihm geraten hat, bei dem Geständnis zu bleiben, habe er keinen Ton rausgekriegt. „Ich wollte erzählen, aber ich konnte nicht.“ Erst als er in der Zelle gesessen habe, habe er verstanden, „daß ich was erzählt habe, was ich nicht gemacht habe.“

Bereitwillig haben die Beamten alles geglaubt, was Mager ihnen zuliebe auftischte. Auf die Überprüfung entscheidender Angaben verzichteten die Beamten offensichtlich. Ein angebissenes Butterbrot, das Mager in der Küche gesehen haben will, taucht auf keinem der Tatortfotos auf. Erfunden waren auch seine Schilderung der Körperhaltung der Toten, die er auf das Bett gelegt haben will. Im Obduktionsbericht gibt es auch keine Spuren von Schlägen auf den Kopf, von denen Mager erzählte.

Magers Verteidiger Rainer Elfferding geht von einem Freispruch nächste Woche aus. Ob sein Mandant jedoch eine Entschädigung bekommt, ist fraglich. Wer eine Haft grob fahrlässig verursacht, für den sieht das Gesetz keine müde Mark vor. Mager, der durch den Medienrummel eine Anstellung bei der Stadtreinigung und eine Wohnung gefunden hat, hegt keine Haßgefühle. „Wäre ich nicht in den Knast gekommen“, sagte er, „hätte ich nie eine Lehre gemacht.“ Vielleicht hätte die Kripo etwas besser recherchieren müssen, merkte er bescheiden an.

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